NMZ-Leitartikel: Wenn der Festivalsommer abgesagt wird
Ob shareholder wissen, wie Dinos ausgestorben sind?
Ein Kommentar von Bernd Schweinar
Für (Pop-)Festivals muss sich ein Publikum erst sozialisieren! Das passiert in der Jugend! Und das passiert zunächst überwiegend im regionalen Bereich und bei kleineren, überschaubaren Veranstaltungen. Ohne diese Sozialisation von jungem Festivalpublikum fehlt später vielfach das Feuer, um Strapazen und auch Kosten auf sich zu nehmen, die einem Festivals weiterhin abverlangen.
Und nach Corona fehlen ein/zwei Jahrgänge an Kids mit „Gefühl“ für Freiluftmusik, oder auch Livemusik im Allgemeinen. Fernab von Konsolen oder Streams.
Die Festivalproblematik/en dürfen daher nicht nur monokausal betrachtet werden. Die shareholder-Brille ist diesbezüglich leider vielfach eingetrübt. Und das kann sich mittelfristig rächen! Für die größeren Festivals später, für die kleineren Open-Airs und die Clubs sehr zeitnah.
Teure Preise saugen dem Publikum das Geld aus der Tasche, welches dieses Geld später oder parallel nicht mehr bei kleineren Festivals oder Club-Shows ausgeben – respektive in Newcomer-Kultur investieren (!) – kann. Die Preisspirale lässt sich nicht endlos weiterdrehen. Das Budget der Konzertgänger ist – mehr noch in der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage – sehr begrenzt geworden. Manche BigPlayer und ein Teil von Agenturen saugen die Ticketkäufer und auch die örtlichen Veranstalter immer öfter leer, quetschen raus, was rauszuholen ist. Es sind nicht (nur) die Produktionsgewerke, die während Corona oftmals ihre soloselbständige Altersvorsorge aufbrauchen mussten. Es sind auch nicht (nur) die vielen an einer Produktion beteiligten (Klein-)Betriebe. Kaum einer redet über den shareholder!
Einen Break-Even von 97 % an verkauften Tickets, um bei Großproduktionen überhaupt in die Gewinnzone zu kommen, gab es früher auch schon. Aber halt nur vereinzelt! Bei ganz wenigen der Großen. Viele aus der Veranstalterbranche klagen inzwischen, dass dieses – menschlich von Manchen Gier genannte – Abkassieren inzwischen erheblich weiter nach unten fortschreitet. Obwohl es natürlich legitim ist und bleibt bzw. zur Sache des Marktes gehört, mit Gewinn aus dem nicht geringen Veranstaltungsrisiko herauszugehen.
Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass es immer noch viele Agenturen gibt, die sich in einem gemeinsamen Boot mit den örtlichen Veranstaltungsfirmen und auch den Konsumenten sehen. Die auch flexibel reagieren, wenn es mal nicht so optimistisch läuft, wie am Anfang prognostiziert. Aber die Friss- oder Stirb-Mentalität ist gewachsen. Seit Corona um so mehr. Haben einige shareholder-Strukturen dort Blut geleckt an staatlichen Subventionen? Wenn dem so sein sollte, dann haben sie das Förderprinzip auch fiskalisch nicht kapiert. Kampflinie zu fahren, weil es vermeintliche Corona-Hilfe gab, war schon zu Pandemiezeit mono-intelligent. Kampflinie weiterhin beizubehalten, sägt am eigenen Ast auf dem man sitzt. Mehr noch sägt es aber an der Basis-Infrastruktur.
Ein Dieter Gorny hat schon 1991 die Bedeutung der Infrastruktur von Liveplattformen als Multiplikationstool von (Pop-)Kultur gepredigt. Die Antwort scheint gerade „blowin‘ in the wind“! Die Konzentration der Big Player schreitet während und seit Corona weiter voran! Es gilt das Marktcredo: Groß frisst Klein! Wer schwächelt wird aufgekauft und/oder verschwindet. Aber wenn nichts Kleines mehr da ist, geht auch Groß die Nahrung aus. Ob der shareholder weiß, wie die Dinosaurier ausgestorben sind?
Monopolisierung und 360 Grad-isierung der Leistungen. Versicherungszwang beim BigPlayer mit doppelten Kosten für die gleiche Leistung bei nicht selten sogar der gleichen Versicherungsgesellschaft u.a.m. wären ein paar der shareholder-Unsitten, mit denen inzwischen Parallelreibach betrieben wird.
Bezahlt wird das vom Endkunden! Bezahlt wird das von der Vielfalt von Kultur! Bezahlt wird das auch von den vielen kleineren Veranstaltern, die insbesondere in der Fläche für die kulturelle Grundversorgung bemüht und nicht selten mit noch engeren Margen auf jeden Euro angewiesen sind, den das zahlende Publikum gerade dort für breite Kultur hinterlassen müsste. Nur kann man dieses Publikum gerade auch verstehen, es nach den großen Ausgaben für große Festivals im Anschluss eine Livekulturpause einlegt, um den eigenen Kontostand wieder etwas auf Non-Stress-Level zu setzen.
Natürlich wurde bei Festivals auch früher schon viel Geld ausgegeben. Natürlich gibt es Festivals, die auf ihrem Areal Geldautomaten einbetoniert hatten, von denen an drei Konzerttagen satte Millionen an Barabhebungen getätigt wurden. Aber natürlich ist auch in cashless-Bezahlzeiten das eigene Consumer-Konto nicht endlos zu schröpfen, weil on top vieles teurer geworden ist bzw. quasi nur viermaliger Toilettenbesuch im Ticketpreis inbegriffen sein kann, um es nicht überspitzt zu formulieren. Pissen für den shareholer?
Die Hoffnung ist nicht sonderlich groß, dass irgendwer über die eigenen Einlassgitter hinausblickt! Dass irgendwer weiter nach vorne blickt als zwei Bilanzen. Shareholder unterscheidet von kurzsichtiger Politik nichts! Nada! Politik will auch nur in vier oder fünf Jahren wiedergewählt werden! Wer ein Bauwerk einweiht bekommt Schulterklopfen; wer es in den Legislaturen vorher finanzieren muss, erhält vielfach nur Schelte! Mit dieser Mentalität geht Politik, geht aber auch ein frei finanzierter Kulturbereich mittelfristig am Stock oder wird ganz lahm.
(aus NMZ/Neue Musikzeitung: www.nmz.de )