Jugendkulturdiskussion: „Charly, 67, CSU, Landtagsvizepräsident“
Von der Diskrepanz jugendkultureller Erwartungen in zwei Talkrunden bei der „Nürnberg.Pop-Conference“
„Charly, 67, CSU, Landtagsvizepräsident“ hätten die Veranstalter bei den Gästen des Panels „Sind wir Euch nicht wichtig genug? Vom Zustand der jungen Kultur“ die Teilnehmenden vorstellen müssen, wären sie so konsequent gewesen, wie beim Pendant mit den Jugendlichen. Auf deren Panel „Sind wir Euch nicht wichtig genug? Jetzt reden wir!“ saßen dann „Noah, Musiker, Student“ oder „Johanna, Bloggerin“ oder „Yannic, Redakteur, Content Creator“.
So aber blieb Karl Freller, der vor über 30 Jahren die elementare Popkulturförderung in Bayern in die Wege geleitet hatte der Grand Senieur in der Runde aus Politik, Wirtschaft und Szene. Freller, der seit Jahren noch immer über die CSU-Fraktionsreserve für neue Förderimpulse der Szenen sorgt, weil das Kunstministerium augenscheinlich Probleme damit hat, beim Finanzministerium zusätzlich notwendige Mittel anzumelden, wurde dann auch zu Unrecht von Patrick Jung (Modular Festival, Augsburg) scharf wegen der bayerischen Popkulturförderung attackiert. Aber Jung war fachlich falsch gebrieft für seine Attacken. Auch Verena Osgyan (Grüne), die der Popkulturförderung in Bayern „eine Schulnote 5“ gab, lag völlig daneben als sie ergänzte, das seien im Vergleich zu den anderen Bundesländern „nur Peanuts“. Bayern liegt im Spitzentrio der Popkulturförderer Deutschlands. Aber „Luft nach höherer Förderung ist immer“, reagierte Freller sehr konstruktiv.
Beim leider getrennt stattfindenden Panel der vermeintlich Jugendlichen – was immer man auch unter dem Button Jugend subsummieren mag – ging es unter dem Strich ebenfalls immer wieder um Geld als Teil von Anerkennung. Nur mit der finalen Eigenreflexion: „Gelder zu beantragen muss man überhaupt erst einmal erlernen“. Das Panel „… Jetzt reden wir!“ verlor sich allerdings nicht nur einmal in Larmoyanz. Es machte erschrocken, wenn junge Kulturarbeitende fordern: „Ich erwarte, dass die Politik auf mich zugeht und fragt was ich brauche“. Dass Politikerinnen und Politiker tagtäglich von Hunderten anderer Menschen mit Problemen und Anfragen kontaktiert werden und im Prinzip gar keine Freiräume haben, um auch noch selbst nach Menschen mit Problemen zu suchen, ist hinlänglich bekannt. Sollte auch Teil von jugendkultureller Awareness sein. Allerdings wurde zu Recht bemängelt: „Jetzt reden wir, aber nur zwei der Politikerrunde hören noch zu und sind geblieben“, was aber als Problem eher auch organisatorisch beim Veranstalter zu verorten war. Einer der Gebliebenen war Patrick Jung, Festivalmacher aus Augsburg, der trotzdem nicht mit Kritik sparte: „Ich bin erschrocken, dass Jugendliche keine Verantwortung übernehmen wollen, um beispielsweise durch politisches Engagement auf kommunaler Ebene selbst öffentliche Kulturgelder verteilen zu können“. Dem wurde widersprochen mit dem Argument, dass man sich ja auf seine Kultur konzentrieren möchte. Womit die Probleme so neu nicht wären. Obwohl Kultur von der Extrovertiertheit lebt, sind Kulturschaffende vielfach schon immer introvertiert, wenn es um Eigenvermarktung und Gelder geht. Seit Jahrzehnten das wiederkehrende Thema.
Wenn junge Kulturschaffende wie der Student und DJ Louis analysieren „Politiker leben in einer anderen Lebensrealität“ und daraus schlussfolgern „Kulturförderung ist Vetternwirtschaft, Geld gibt es nur, wenn man jemanden kennt“, dann nützt aber der Rückzug in die eigene Awareness überhaupt nichts. Und der Kritik von Elise, Auszubildender zur Veranstaltungskauffrau, wonach sie kein Verständnis dafür habe, dass man nicht gleich von einer Kommune Geld bekomme, wenn man einfach als Einzelne ankomme, um mit einer Idee bei Null zu starten, könnte man primär auch mehr Realitätssinn wünschen. Heißt Awareness nicht auch, sich in Fördergeber hineinzuversetzen, um mit Geldern der Allgemeinheit verantwortungsvoll umzugehen, wenn plötzlich hunderte von Menschen mit Ideen um Geld anklopfen, der Topf aber nur begrenzt ist. Gerade in einer Zeit, in der tiefe Haushaltseinschnitte drohen und bald vieles auf dem Prüfstand stehen wird. Nichtsdestotrotz haben die jungen Kulturschaffenden richtig analysiert: „Hochkultur hat durch die hohen Fördermittel den künstlerischen Freiraum z.B. mit einer Theaterinszenierung auch scheitern zu dürfen. Jugendkultur hat diesen Bonus nicht“.
Fatal scheint in der Diskussion um Awareness und Individualität aber zu sein, dass die Erwartungshaltung der Einzelnen an die Gesellschaft nur auf den Get-Faktor reduziert kommuniziert wird. Das „Go“, um in der Gesellschaft selbst als Interessengruppe oder -vertretung die Initiative zu ergreifen, schien bei diesem Talk irgendwo verloren gegangen zu sein. Nur ein singulärer Fokus der lokalen Momentaufnahme? Oder allgemeines Problem einer heutigen jüngeren Generation? Karl Freller war bei der Politikrunde zum Schluss wieder ganz der „Charly“ und reichte die Hand zu einer Vertiefung des Dialogs. Schade, dass dazu vom Netzwerk das Popkultur in Bayern offiziell vertritt, gar niemand anwesend war, um die Chance zu nutzen. Auch dies vielleicht ein Ausdruck fehlender Awareness für das Problem von Kulturförderung?