Insider: „Versicherer geben die größten Gewinne während Corona bloß nicht zu“

NMZ-2023-11 / Versicherungswirtschaft

Vom Event-Versicherungsgeschäft und wie das unabhängige „Summer Breeze“-Festival durch die Pandemie kam.

Corona? Nervt das Wort inzwischen? Denken manche noch zurück? Ist wieder alles oder vieles im Normalrhythmus? Was auch immer „normal“ bedeuten mag? Warum sind manche besser durchgekommen? Wir reflektieren dazu das „Summer Breeze“-Festival? Und bei gestiegenen Veranstaltungskosten reden viele über Techniker und Technik. Wir haben auch mal mit einem Versicherungsinsider diesen Bereich hinterfragt. Hier mussten hunderte Millionen an Schadensleistungen für ausgefallene Veranstaltungen gezahlt werden. Pleite gegangen ist kein Versicherer. Die Gesellschaften haben ihren Kunden nicht selten die Existenz gerettet! Aber wie hat Corona das zu versichernde Risiko verändert?

Versicherer verteilen ihre Risiken untereinander auf viele Schultern. Und sie haben ein breites Portfolio. „Corona hat keinen Versicherer zerlegt, ganz im Gegenteil“, wie uns ein Versicherungsinsider bestätigt, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte. „Viele Gesellschaften haben streckenweise während Corona die größten Gewinne aller Zeiten eingefahren, es gibt bloß keiner zu!“ Als Beispiel nennt er die Hausratversicherung, „da gab es in den Coronajahren so gut wie kaum Einbrüche, weil viele im Homeoffice gearbeitet haben“. Ähnliches bei den Kfz-Versicherungen, weil wegen der Heimarbeit viel weniger Kilometer gefahren wurden.

Trotzdem: „Wenn ein Versicherer im Eventbereich viel Geld ausgibt, muss er es in der Folge auch wieder kompensieren.“ Bei 9/11 habe es zwei Jahre gedauert, bis das neue Risiko damals eingepreist war. Im Eventbereich gab es 2022 eine Prämiensteigerung z.B. beim Veranstaltungsausfall von ca. 40 Prozent. Diese Steigerung wird sich in den Folgejahren durch Angebot und Nachfrage wieder dem Markt anpassen.

Und die Versicherer ändern die Bedingungen. Mit Klauseln wie Pandemie oder Krieg wird konsequenterweise verschärft umgegangen. Aktuell würden viele Versicherer auch versuchen aus Verträgen herauszukommen, bei denen Cyberattacken und deren Risiken abgedeckt seien, so unser Versicherungsexperte der fortfährt: „Wenn ein Veranstalter sagt, er hat sensible Kundendaten abzusichern oder er braucht ein funktionierendes WLAN für Ticketing und Cashsystem während der Veranstaltung, dann hat er natürlich einen anderen Bedarf als z.B. ein Bierzeltfestival mit Coverband, das um es vorsichtig salopp zu sagen, im schlimmsten Falle wieder Tickets abreisst“.

Cyberrisiken könne man zwar auch zukünftig versichern, aber in einem eigenen Produkt mit entsprechenden Preisen. Und das betreffe auch weit mehr als den Veranstaltungssektor. „Die Eventbranche ist zu klein, um für sie – ich sage mal – ein eigenes Medikament zu entwickeln“, wie unser Insider das umschreibt.

Für Versicherer, die sich weltweit mit ganz anderen Risiken beschäftigen, sei der Eventsektor eigentlich eine „Nebenbranche“. Trotzdem gilt auch bei Veranstaltungen: „Die Versicherungsbedingungen werden nicht besser! Sie werden durch Risikoausschlüsse oder höhere Selbstbeteiligungen immer mehr belastet“.

Und die Konzerne säßen noch mehr am längeren Hebel, so unser Experte. Sie seien während Corona weiter gewachsen, hätten kleinere Anbieter zugekauft. Eine Konzentration, die deckungsgleich mit der Veranstaltungswirtschaft sei. Dort, erzählt unser Insider, gäbe es inzwischen das Kuriosum, dass örtliche Veranstalter Einzelshows parallel zum Booking nur beim zentralen Veranstaltungskonzern gegen Ausfall versichern könnten. Schaut man genauer hin, ist der Versicherer der gleiche, wie auf dem freien Markt. Nur dass es im Vertrag des Konzerns den örtlichen Veranstalter das Doppelte koste. Man dürfe raten, wo das zusätzliche Geld verbleibe, so unser Insider.

Zum Konzernthema passt dann auch ein Blick auf das „Summer Breeze Festival“ mit 45.000 Besuchern nahe Dinkelsbühl in Bayern. „Wir sind inzwischen wahrscheinlich das größte unabhängige Festival in Deutschland, im Metal-Bereich wohl sogar in Europa“, so Achim Ostertag und Jonas Medinger von der Geschäftsleitung der Veranstaltungsfirma Silverdust GmbH aus Baden-Württemberg. 2020 hat ihnen ihre Versicherung das Überleben gerettet. Sie konnten das Festival damals erst absagen, als die Deckungszusage des Versicherers eingegangen war. Und selbst da wollten sie es mental noch nicht wahr haben.

Während aber manch Konzern-gebundene Firmen erhebliche Mengen an Fachpersonal verloren, kam Silverdust fast unbeschadet durch die Pandemie. „Mitarbeiter haben wir während Corona kaum verloren“, so Achim Ostertag. Die Kurzarbeitsregelung habe ihnen am allermeisten geholfen. „Und mit Aufzahlungen dazu, konnten wir aus finanziellen Rücklagen unsere Stammbelegschaft fast vollständig halten“, so Ostertag und Medinger unisono. „Wir sind natürlich kleiner und haben eine andere Beziehung zu unseren Mitarbeitern, als das bei Konzernen der Fall sein mag“, so die Köpfe von Silverdust. Trotzdem sei es ein extremer Kampf gewesen, Lösungen im Sinne der Mannschaft zu finden. Damit meinen sie insbesondere die rund 20 dauerhaft Angestellten in der Firma. Während der Festivalwochen kämen weitere rund 600 festangestellte Leute hinzu. Insgesamt sind von Aufbaubeginn bis Abbauende rund 2.500 Menschen mit dem Gelingen des Festivals beschäftigt.

Ein Festival, das inzwischen auf 150 Hektar Fläche gewachsen ist, weil 97 Prozent der Fans dort auch campen. Nichtsdestotrotz sind während der Veranstaltung in einem Umkreis von weit über 50 Kilometern auch keine Hotelbetten mehr zu buchen. Die Stärke des „Summer Breeze“ liegt auch auf seiner regionalen Fokussierung. Die Helfer kommen überwiegend aus den angrenzenden Landkreisen, die Supermärkte spüren wegen des Ansturms das übliche Sommerloch kaum und generieren in der Zeit rund 30 Prozent Umsatzwachstum. Auch die Veranstalter kaufen immer mit lokaler und regionaler Priorisierung ein, von Lebensmitteln bis Getränken einer lokalen Biermarke, so Jonas Medinger. Und das mit einer Treue von teilweise über 20
Jahren. Eine stabile und überaus freundliche Fancommunity dankt es ihnen.

Auch die politische Wahrnehmung sei gewachsen, „zumindest wissen wir jetzt, wohin wir uns bei der Politik wenden können“, so Jonas Medinger. Und Achim Ostertag ergänzt: „Manche Politiker melden sich zwischendurch von selbst. Der örtliche Landrat kommt deswegen zwar noch nicht, aber sein Stellvertreter war da“. Seit 2023 hat das „Summer Breeze“ auch ein Festivalpendant in Brasilien. „Wir sind das erste deutsche Festival, das eine Edition in Südamerika veranstaltet hat“, so Achim Ostertag. Statt Konzern-gebundene Headlinershows, bei denen es nur um Ticketverkäufe geht, hat „Summer Breeze Brasil“ auch die Philosophie und den Fanservice aus Deutschland übernommen – mit Kinderbetreuungsprogramm u.v.m. bei einem Metal-Festival.