Blog
CONTENT alphabetisch:
KULTURPOLITIK
- "Live500" - Förderprogramm der Initiative Musik als Bürokratimonster kritisiert
- Festivalsommer 2023 - auch dieses Jahr wieder im dpa-Interview
- Festivalsommer 2023 - Ticketpreise u.a.m. - mit O-Ton im dpa-Interview
ARTIST
- Antis /Überraschung mit Litauens Vergangenheit
- Calexico / Live im Serenadenhof von Nürnberg
- Da Rocka & Da Waitler / Live auf der Piazza Regensburg
- Die Ärzte und Antilopen Gang / München, Olympiastadion 2022
- Die Toten Hosen + Donots + Feine Sahne Fischfilet/ München, Olympiastadion 2022
- Die Toten Hosen mit Gerhard Polt und Well-Brüdern / Forever Young am Brombachsee 2023
- Dreiviertelblut / Live beim Zeltfestival Lappersdorf
- Giant Sand / Howe Gelb + Support XiXa / Europatour 2023 in Nürnberg
- Glyk, Kinga/ Rother Bluestage 2022
- hackedepicciotto/ Danielle de Picciotto & Alexander Hacke/Einstürzende Neubauten bei Vernissage
- Ivy Gold / Bluesröhre aus Salzburg im Airport, Obertraubling
- Koreck, Claudia & Werner Schmidbauer / Final mit gemeinsamer Session beim Zeltfestival, Lappersdorf
- Lindenberg-Crew / backstage heroes und ihre Situation während Corona
- McCarthy, Steven & Carla Olson / Interview & Review "Night Comes Falling" (English)
- Melouney, Vince/ Interview mit Ex-"Bee Gees"-Gitarrist
- Nash, Graham / 60 Bühnenjahre - Live im Circus Krone, München
- Pam Pam Ida / Live beim Königsplatz-Open-Air in München, Königsplatz Open-Air 2023
- Pizzera & Jaus / Live und mit Lärmbeschwerde beim Open-Air am Regensburger Jahnstadion
- Polt, Gerhard & Die Well Brüder / Live beim Zeltfestival Lappersdorf
- Prahl, Axel & Das Inselorchester / Auf "Mehr"-Tour live im Serenadenhof, Nürnberg
- Ringlstetter & Band/ Hannes bei Crowdsurfing-Premiere in Regensburg
- Robert Jon & The Wreck / Was für ein Gitarrenbrett? Live im Airport, Obertraubling
- SAGA / Tausendfacher Fanchor im Serenadenhof, Nürnberg
- Schwarzmann, Roell, Langer & Kellner, beim letzten Zeltfestival Lappersdorf
- SDP /"Gutes Schlechtes Vorbild"-Tour 2023 in Regensburg, Donau Arena
- Seiler & Speer / HopOn Hymnen auf der Piazza Regensburg
- Smith, Patti & Band / Live beim Burg Abenberg Open-Air
- Sutherland, Kiefer / Liveim Serenadenhof/Nürnberg
- Trout, Walter/ Live im Hirsch, Nürnberg
BLOG-BEITRÄGE:
26. Oktober 2023




Die Groove-Prinzessin der Hausmusik
Judith Hill, Ex-Lebensgefährtin von Prince im Hirsch in Nürnberg
Sie war die Lebensgefährtin von Prince, der 2015 auch ihr ersten Album produziert hatte. Ich kannte Judith Hill bis vorgestern nicht, obwohl sie 2009 bei der Trauerfeier von Michael Jackson dessen „Heal The World“ für die ganze Welt gesungen hatte! Davor war sie mit dem Chansonier Michel Polnareff auf Tour und sang Backing vocals für Elton John, Stevie Wonder, Anastacia und andere Granden mehr. Ach ja, 2013 gewann sie auch die US-Talentshow „The Voice“, was ihr aber nicht geschadet hat. Mea maxima culpa!
Um so mehr bin ich gestern vor dieser Stimme, diesem Groove und dieser Performance von Judith Hill in die Knie gegangen. Und ich danke Impressario Peter Harasim für den Online-Tipp, um kurzfristig noch einen Trip nach Nürnberg in den Hirsch gemacht zu haben. Was für ein Erlebnis für Ohren, Bauch und Beine. Eine Soulstimme, um in Ehrfurcht zur Salzsäule zu werden, dann aber von Rhythm & Blues-Kicks wieder flexibel geklopft zu werden. Wenn Prince der König war, dann ist Judith Hill mehr als nur die Prinzessin! Eine eigenständige Songwriterin, die weiß, wie man Hooklines setzt. Eine hervorragende Gitarristin, die Riffs am laufenden Band aneinander reiht. Und eine Pianistin, die gepaart mit ihrer Stimme zu Superlativen verleitet.
Aus ihrem 2021er Album „Baby, I'm Hollywood“ reihte sie Titel wie „Americana“, „Burn It All“, „Silence“ oder „Step Out“ an der Perlenschnur auf. Auch aus dem 2015 Debüt hatte sie den Titelsong „Back In Time“ und „My People“ im Set. Und „Pepper Club“ war so würzig, wie der gesamte Abend. Zu dessen gelingen auch eine homogene Band beitrug, die den Begriff „Hausmusik“ ganz speziell interpretierte, weil Mama Michiko buchstäblich mit ihrer Hammond verschmolzen war und Papa Robert „Pee Wee“ Hill am Bass zeigte, woher die Tochter das musikalische Blut hat. Nicht zu vergessen Drummer John Staten, der zwar hinter seinen Becken unbeleuchtet verschwand, aber als filigraner Groover anschob, dass es ein Genuss war.
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/hill-judith
06. September 2023
In Liebe für 60 Bühnenjahre
Graham Nash verschmelzt in München mit dem Circus Krone-Publikum!
Wenn einer wie Graham Nash gerade nach sieben Jahren wieder mit „Now“ ein tolles Studioalbum veröffentlicht hat, dann wäre es nach dem Gesetz Logik erwartbar, dass er einen Teil oder Großteil eines Konzertes mit Songs daraus gestaltet. Denn auf „Now“ zeigt er sich politisch wie in den besten Siebzigern mit CSNY. Die Zeilen „Sometimes I wonder why the world is like it is / Frozen by the fear of change / If we keep believing all the wise men to divide us / There's no one else that we can blame“ aus „Stars & Stripes“ wären so ein Anker gewesen. Ähnliches auch in „Stand Up“ oder „Better Life“, wo er das Umweltverständnis und die Verantwortung für den Globus gegenüber unseren Kindern anmahnt. Aber aus „Now“ schafft es an diesem Abend nur die Buddy Holly-Hommage „Buddy's Back“ in sein Set.
Ein Set, das unter dem Motto „60 Years Of Songs And Stories“ konsequenterweise einen Hit an den anderen reiht. Und derer hat er beginnend von den Hollies, bis Crosby, Still, Nash & Young oder den Solo- bzw. Duettalben mit David Crosby einen schier unermesslichen Fundus. Von „Bus Stop“ angefangen, wo er erzählt, wie er mit sechs Jahren Allan Clarke traf und seither eng mit ihm befreundet ist. Bis zu „Immigration Man“, wo er in der Anmoderation rückblickend belustigend ein Erlebnis aufruft, als alle anderen in der Band bei der US-Einwanderungsbehörde durchgewunken wurden – nur er nicht! Brite halt! Ab der Aufkicknummer „Wasted On The Way“ ist auch das Publikum sein Fundament. Und es geht ein Schauer über die Nackenhaare, wenn z.B. bei „Love The One You're With“ der fast volle Circus Krone zum vollmundigen Chor für den Refrain verschmelzt.
Ich hätte so gerne „Feels Like Home“ gehört, aber dann hätte er eine Band mit Pedal-Steeler gebraucht. War ihm wohl zu aufwändig. Obgleich er mit Shane Fontayne einen britischen Erstligagitarristen als Sidemen hat, der von Springsteen bis Cocker eine Megareferenzliste über die Tonleiter hängen kann. Von Keyboarder Todd Caldwell erzählt er, dass der aus Lubbock/Texas stammen würde, was ich noch nirgends gefunden habe. Aber der hat auf der Bühne nicht widersprochen, sondern wunderschöne Klangteppiche unterlegt oder Melodien untermalt. So wurde insbesondere „(Winchester) Cathedral“ wieder ein Highlight, aber auch „Marrakesh Express“ oder „Military Madness“, wo er auch kurz den Ukraine-Krieg streift. Bleibt die Wehmut, ob er mit jetzt 81 Jahren nochmals wiederkommt.
Die ganze Bilderstrecke im hinteren Teil der Graham Nash-Galerie hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/nash-graham
01. September 2023
Was für ein Gitarrenbrett
Robert Jon & The Wreck im Airport/Obertraubling
Was für ein Gitarrenbrett war das denn? Todd Wolfe, langjähriger Gitarrist von Sheryl Crow und selbst begnadeter Bluesgitarrist, hat mein kurzes Reel vom Auftritt von „Robert Jon & The Wreck“ noch während des Konzerts geliked. Robert Jon Burrison und seine Band aus dem Orange County in Kalifornien haben eine laute, kraftvolle Wand aus wuchtigen Bluesgitarrenriffs, aus Slide-Eskapaden und - in bester Southern-Rock – gegenläufigen Gitarrensoli quer durch das Obertraublinger Airport gezogen. Gitarrenschwaden, insbesondere von Henry James Schneekluth, die in Keyboardwellen von Jake Abernathie untergingen, um mit Satzgesang bei der nächsten Welle wieder aufzutauchen. Kraftvolle Dynamik gepaart in einer symbiotischen Klangehe mit dem treibenden Groove von Bassist Warren Murrel und Drummer Andrew Aspantman. Was für eine homogene Truppe, was für ein Kraftwerk auf der Tonleiter!
Im Herbst sind sie nochmals in süddeutscher Reichweite: am 2. 10. im Rockhouse in Salzburg und am 3.10. in Rimsting bei Rosenheim. Hingehen, wer sich die Ohren mal wieder mit runden Harmonien fulminant durchpusten lassen möchte!
Und die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/robert-jon-wreck
01. September 2023
"Broken Silence" - und wie!
"Ivy Gold" mit viel Substanz im Airport/Obertraubling
"Ivy Gold" um die Salzburger Bluesröhre Manou war im Airport Obertraubling als Support von Robert Jon & The Wreck zwar nur im reduzierten Akustik-Duo mit Gitarrist/Arrangeur Sebastian Eder (Avalon) zu hören, aber ihr kurzes Set ließ die Substanz hinter ihrer kraftvollen Stimme deutlich werden. Für ihr letztes Studioalbum „Broken Silence“ und die anschließende Tour konnte sie Cracks wie Drummer Tal Bergman (Joe Bonamassa, Billy Idol), Bassist Kevin Moore (Jennifer Rush) und Keyboarder Anders Olinder (Glenn Hughes) begeistern. Auch in der unplugged-Version überzeugte das Hymnen-hafte „Broken Silence“ am meisten. Zu diesem Song sagte sie mal in einem Hellfire-Mag-Interview: „Das Schweigen brechen. Es geht im Leben wirklich um die Suche nach Wahrheit, und es geht darum, auch Dinge auszusprechen. Dinge die ich für wahr empfinde, dann möchte ich das auch aussprechen dürfen. Es ist auf alle Facetten des Lebens übertragbar. Ob es der private Bereich ist, der Alles-Bereich oder sonst irgendwas. Darum geht es in dem Song.“
Manchmal wünscht man sich bei ihren Songs mehr Hooklines, mehr Andockpunkte, wo sie sich mir ihrer beeindruckenden Stimme dann so richtig auf zum Zenit machen könnte. Aber sie hat Potential und muss sie unbedingt im Auge behalten.
Weitere Termine in Bayern: am 22.9. in München (Strom) und 23.9. in Aschaffenburg ( Colos-Saal).Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/ivy-gold
31. August 2023
In der Neuen Musikzeitung (09/2023) ab heute mein Artikel zum neuen und sinnvollen Förderprogramm "Live500" der Initiative Musik und den damit verknüpften bürokratischen Auflagen. Mit ausführlichen Statements von Thomas Lechner, Booker, Agent (queerbeat) und Münchner Stadtrat zu queeren Förderansätzen in der Popkultur:
"Es ist meine Kunst die zählt, nicht dass ich schwul bin"
Förderprogramm "Live500" der Initiative Musik als Bürokratiemonster kritisiert
Thomas Lechner ist schwuler Booker, Agent, Veranstalter, DJ und inzwischen auch Münchner Stadtrat. Schon in den neunziger Jahren hat er die Künstleragentur "queerbeat" für nationale und internationale queere Musikerinnen und Musiker gegründet. Und er hat als Booker über Jahre Kulturprogramm für örtliche Veranstaltungsagenturen und renommierte Clubs gestaltet, weiß also, wie queeres Booking in der Praxis aussieht.
Zu Beginn unseres Gespräches bringt er eine grundsätzliche Position ein. Einst habe er den in New York lebenden australischen Künstler Scott Matthew in Europa aufbauen wollen. Dabei habe er Matthew vorgeschlagen, zunächst bei queeren Veranstaltungen und in queeren Clubs aufzutreten. Aber Matthew habe erwidert: "Es ist meine Kunst die zählt und nicht, dass ich schwul bin".Beim Förderprogramm "Live 500" erfordert die Messlatte der Initiative Musik von den Veranstaltenden nahezu hellseherische Kräfte. Booker dürfen Kulturschaffende nicht nach ihrer sexuellen Orientierung befragen. Sie sollen aber über viele Monate im Voraus Konzerte buchen und durchführen, den Bands zusätzlich 250 € bzw. 500 € ausbezahlen, ohne Gewissheit zu haben, ob die geförderten Kulturschaffenden tatsächlich als Diverse förderfähig...
(der ganze Artikel hinter der Paywall / aber ein NMZ-Obulus lohnt sich jeden Monat / www.nmz.de )
28. Juli 2023
HopOn Hymnen
Seiler & Speer auf der ausverkauften Piazza in Regensburg
HipHop und Hymnen sind keine zwei paar Schule bei Seiler & Speer. Rap und Harmonie schließen sich nicht aus. Ist es der liebevolle österreichische Schmäh der diesen Dialekt so hymnenfähig macht? Oder ist es irgendein anderes Geheimnis, warum die Österreicher so viel mehr Hymnen-fähiger sind als die Beamtenmusiker anderer Länder?
Vielleicht liegt es auch den facettenreichen Arrangements, die geprägt sind von einem Mann und seinem Geist: Christian Kolonovits‘ Handschrift ist seit Jahrzehnten Garantie für den Erfolg zahlreicher österreichischer Interpreten. Kolonovits ist in vielem der Mozart der Neuzeit. Und er hat Nachfolger gefunden, junge Kreative, die in seinem Geist und mit seiner Philosophie arrangieren und komponieren. Es ist die Philosophie, dass man in gebirgiger Umgebung immer einen (Berg-)Gipfel erklimmen muss. Auch in Songs und Refrains.
Mit dieser Inbrunst haben viele Songs einen Charakter, der von tiefsinnigem, weil nachdenklichem (Beziehungs-)Nebel in Tallage final doch wieder auffi stürmen, auffi auf den Melodieberg. Exemplarisch am Beispiel von „I kenn di vo wo“, einer der Mitsinghymnen par excellence, die aus der Stille kommt und auch in der Glasfensteridylle des Bürogebäudekamins der Piazza den Gefühlszenit erklimmt. Der fulminante Sound leidet darunter kaum, was ein Extralob für die FOH-Crew abverlangt.
Bei „Ala bin“ weinen sogar die Noten auf der Tonleiter mit, besonders dann, wenn Tausende im Refrain vielstimmig und voluminös ausholen zu „…und wann i dann ala bin, ruaf i di wieda o…“Und es ist keine Leichenfledderei, einen Titel wie „Herr Inspektor“ mit Falcos „Der Kommissar“ zu vergleichen. Die Fans springen voluminös auf den Rap-Refrain auf, wie ich einst auf den HopOn-Bus in Dublin. HipHop im Geiste eines Genies wie Falco, auch wenn viele im Publikum noch gar nicht geboren waren, als Falco damit weltweiten Erfolg feierte. Dieser Falco würde bei Seiler & Speer im Publikum mitsingen!
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/seiler-speer
28. Juli 2023
Lebensstyle zum Uptempofeiern
"Da Rocka & Da Waitler" auf der Piazza in Regensburg
„Zwoa moi rechts, zwoa moi links und zwoa moi drahn. Und Klatschen!“ So einfach kann es auch in Wacken sein. Vielleicht noch etwas Schuhplatteln dazu! Als „DA ROCKA & DA WAITLER“ einst nach Wacken trampten um dort auf einer Nebenbühne zu spielen, haben sie eine auch virtuelle Gaudi daraus gemacht. Die Medien haben sie dann in Schubladen wie Quetschenpunk oder Metalpolka gesteckt. Ich darf mich auch daran versuchen: „Gehma steil“ ist nicht nur einer ihrer Anmacher. Er ist auch Style! Lebensstyle zum Uptempofeiern! Die Bilderstrecke spiegelt das!
24. Juli 2023
SAGA mit 1.000er Fanchor
Ausverkaufter Gig im Nürnberger Serenadenhof
Wenn ein mehr als tausendstimmiger Chor im Nürnberger Serenadenhof insbesdonere bei „Scratching The Surface“, aber auch „Humble Stance“ oder „What Do I Know“ mitsingt, dann spricht das bei einer Band, die wie SAGA so viele Dekaden existiert, Bände. 46 Jahre ist Michael Sadler inzwischen mit der Band unterwegs, wie er vorher im Gespräch erzählt. Er wird begleitet von seiner Familie und ist ganz stolz auf sein Shirt, das von seiner Frau persönlich gestylt wurde, wie er betont.
Die Publikumsresonanz ist ungebrochen, vom örtlichen Veranstalter Peter Harasim bekommen sie den Sold-Out-Award überreicht und selbst der Schnürlregen kann die Stimmung nicht eintrüben. Hardcore-Fans erzählen, dass sie sich in ihre Teenagerphase zurückversetzt fühlen und erleben die Zeit von damals neu. Beginnend mit der Aufkicknummer „No Stranger“ oder „Carefull Where You Step“ zeigt auch Ian Chrichton, welch facettenreicher Gitarrist er seit jeher ist. Melodischer wird es mit „Days Like These“, wo sie die Keyboardflächen mit Harmonien und Chören füllen. Spätestens ab „There’ll Never Be Days Like These Again“ steigen dann auch die Fans in den Refrain mit ein. Getoppt direkt von „On The Loose“, wo die Zeile „No One Can Stop You Now“ als Botschaft und gegen den Regen gestemmt wurde.
Ich weiß gar nicht, wie viele Jahre es her ist, dass ich bei einer Liveshow ein Drumsolo erlebt habe. Früher gang und gäbe bei Gigs. Heute fast exotisch. Aber Drummer Mike Thorne agiert wie ein Tier! Eine Explosion von Perfektion und Kraft. Als erste von mehreren Zugaben gibt es dann auch noch „Wind Him Up“
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/saga
23. Juli 2023
Crowdsurfer Hannes auf Händen getragen!
"Ringlstetter & Band" mit Heimspiel beim Piazza-Festival Regensburg
Crowdsurfing-Premiere für Hannes Ringlstetter beim Piazza-Festival in Regensburg. Die Fans trugen Hannes buchstäblich auf Händen - ungeplant! Diese nicht ganz ungefährliche Einlage übermannte ihn dann doch sehr spontan! Vielleicht auch, weil es ein Heimspiel war. Die Stadt, in der Hannes Ringlstetter über Jahre und Jahrzehnte Durchhaltevermögen beweisen musste – so wie zahlreiche andere Newcomer auch, die es dann doch nicht so weit brachten.
Seine Band hieß damals „Schinderhannes“. Und zu dieser Zeit, so erzählt er nach dem Konzert backstage, habe er nur einmal Stagediving ausprobiert. Die Halle war damals nicht ausverkauft... Dieser etwas süffisant zu lesende Satz bedeutete zu Deutsch: vor der Bühne sind die Konzertbesucher einen Schritt zur Seite gegangen - und es hat ihm nachhaltig weh getan.
Dafür kam das Regensburger Publikum bei der ausverkauften Show mehr als auf seine Kosten. Ich habe ihn oft gesehen. Das war Top5 an Lockerheit und Genialität. Auch ein Ergebnis, dass er mit manchen schon etliche Jahrzehnte best buddy ist und gemeinsam auf der Bühne steht. Aber auch die Neuen in der Bläsersektion reihen sich homogen in Sound und Show ein. Chapeau. Die Fans forderten Hymnen wie „Niederbayern“ oder „Heller Schein“. Bekamen diese auch. Und Letztere war zum Abschluss dann auch nicht nur für mich ein emotionaler Höhepunkt, weil es dieser Song war, der uns während Corona mächtig aufgebaut hatte.
Die ganze Bilderstrecke in der zweiten Hälfte der Ringlstetter-Galerie hier:
https://www.allmusic.de/bilderga.../ringlstetter-hannes-band
21. Juli 2023
Musik ist die Brücke, Gaudi das Geländer
"Die Toten Hosen" mit Gerhard Polt und Well-Brüdern am Brombachsee
Ich stand neben den jungen Düsseldorfer Punks an der Bühne, als sie im Juli 1986 beim Anti-WAA-Festival in Burglengenfeld mit der „Biermösl Blosn“ die Erleuchtung für, auf und in ihre Ohren geblasen bekamen. Tags zuvor waren es „Die Toten Hosen“, die mich vorsichtig ansprachen und höflich fragten, ob ich von ihrer Plattenfirma sei, weil ich zufällig einen Virgin-Jutebeutel dabei hatte. Danach Gruppenfoto mit meiner damaligen Begleiterin auf der Presstribüne; antiquiertes Selfie im Rückblick. Und danach auch die Bilderserie vom Zeltaufbau des Hosen-Hotels, von denen es ein Foto in ihre erste Biografie schaffte. Bayern war zumindest Campino nicht fremd. Die Wells und ihre Aufmüpfigkeit schon, wie sie mit kurzen roten Lederhosen Farbe in die Anarchie brachten. Während die Hosen im Juli augenscheinlich etwas verweichlicht mit Strickpullis - gestreiftes bzw. Trapez-Muster - auf der Bühne buchstäblich mit Sirene abgingen und 120.000 Menschen - für immer! - weckten.
Vier Dekaden weiter ist eines geblieben: Der Spaß an der Freud‘ zwischen den „Toten Hosen“, den „Well-Brüdern“ und dem geistigen Maximus Gerhard Polt. Mit bayerischer Sprache haben sie bis heute ihre Probleme. Aber macht nix! Musik ist die Brücke, Gaudi das Geländer! Musik war nie Aneignung – wird es auch nie sein. Musik war immer schon ein international verschmelzender und Kultur verbindender Meltingpot! Besonders in einer Freundschaft, die so lange währt – und es in sich so lange gären lässt. Sie haben wieder vielfach Bewährtes aus ihren Programmen dem stilistischen Widerspruch geöffnet. Rheinland blubbert in Oberbayern – und umgekehrt. Wo sich früher kantige Gitarrenriffs rieben, quietschen heute in den Arrangements halt Blechblasinstrumente oder eine zarte Harfe. Breiti mit Zither auf den Knien – zum Niederknien! Ich mag sitzende Musiker! Sah im Profil aus wie eine Lapsteel.
Besonders Campino und Stofferl Well scheinen sich auf der Bühne mit Inbrunst auszutoben. Da verstehen sie zwei augenscheinlich blind. Vielleicht hat Stofferl auch für zwei geblasen? Immer wenn ich Campino angeschaut habe, hat der auf der Trompete kein einziges Ventil gedrückt. Ein Instrument, das vergeudete Zeit nicht verzeiht. Auch egal. Der Spass dominierte trotzdem die Bühne. Beim Kampf mit dem Alphorn dreht Campino ein um’s andere mal die Augen vielsagend gen Himmel. Der Töne wegen? Aber Respekt: Vier Alphorn-Köpfe, die sie von Fans an der Bühnenkante halten lassen – mit Verweis auf den Zahnarzt, der bei Rückstoß fällig würde. Und im Bild festgehalten: die Toten Hosen verleihen Stofferl Well auch Flügel für Luftsprünge.
Campinos anmoderiertes „Wir sind hier um uns zu entschuldigen“, pariert Gerhard Polt mit „ich entschuldige mich nicht“. Und über die Klebstoffaktionen: „Wir haben den Klebstoff früher geschnuffelt…“. Campinos fiktives „Radio-Freies-Düsseldorf“-Interview mit Polt kommt etwas gestelzt rüber. Lag vielleicht auch an der Sprachbarriere. Eine Zumutung war es trotzdem nicht im Ansatz. Im Gegenteil: das Aufstellen der tausenden von Stühlen hätte man sich sparen können. Ab dem ersten Ton stand das Publikum wie eine Wand und subjektiver Höhepunkt blieb der vielstimmige Chor zu „Forever Young“. Peak hier auch die himmlische Harfe von Stofferl Well in der Grauzone zwischen anmoderiertem Altenheim und himmlischer Warteschleife für ihr inzwischen vielfach auch mitgealtertes Publikum. Ambitioniert final auch noch der gemeinsame Auszug im Gänsemarsch mit dem winkenden Gerhard Polt beim Auskehren. Respekt! Zünftig war’s! Krachert!
Die Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/die-toten-hosen-gerhard-polt-well-brueder
Die Bilderstrecke mit der "Biermösl Blosn" 1986 beim WAA-Festival in Burglengenfeld hier im hinteren Teil der Galerie:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/biermoesl-blosn
Und die Bilderstrecke der "Toten Hosen" beim WAA-Festival 1986 gleich am Anfang der DTH-Galerie:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/die-toten-hosen
15. Juli 2023
„Mehr“ liebevoller Knuffel statt Dressman
Axel Prahl & Das Inselorchester trotzen Gewittersturm in Nürnberg
„mehr Meer“ hätte man - ganz in Axel Prahls wässeriger Wortspielerei - den von einem Gewittersturm mit Wolkenbruch begleiteten Auftritt im Nürnberger Serenadenhof auch überschreiben können. Zum ersten Song hatten die Techniker mit den wehenden Bühnenstoffen zu kämpfen, mussten Equipment sichern und Programme auf dem Notenpult festkleben. Das Solo-Entree zog der Sänger und Schauspieler, dem die Sturmböen immer wieder den Strohhut aufbogen, aber standhaft durch, wie ein Kapitän auf der Brücke eines Bootes: „Das wird heute lustig“.
Das Publikum in den vorderen Reihen die nicht überdacht waren, floh konsequent unter das Dach. Wobei ein Paradoxon unbeantwortet blieb. Auf der Bühne der liebevolle Knuffel im Outfit seiner Münsteraner Tatorte mit funktionaler Angler-/Fotoweste. Vor der Bühne vielfach überwiegend aufgebrezelte Damen mit Abendgala. Sollte es eine Brücke zwischen diesen Gegensätzen geben, dann her damit. Diese Lebensweisheit fehlt weit über den Abend hinaus.
Vielleicht liegt es an Prahls tiefer Empathie für das Zwischenmenschliche, das tiefschürfende Innere von und in Beziehungen, das weit über Äußerlichkeiten steht? Möglicherweise auch an seiner relaxten Art, von kaum etwas wirklich aus dem Leben geworfen zu werden. Er wirkt wie der Ruhepol im Leben. Der Ruhepol in einer Beziehung. So konnte ihn auch nicht in Hektik versetzen, dass am Tag zuvor auf der Tour sein Wohnmobil kaputt gegangen war. Warum deshalb nervös werden? Alleine, dass er überhaupt mit dem Wohnmobil auf Tour ist, würde ihn mehr zur zweiten oder dritten Liga der Kulturschaffenden definieren. Aber er ist musikalisch Bundesliga!
„Blick aufs Mehr“ hieß einst sein Debütalbum als Singer/Songwriter. Sein aktuelles Album heißt nur noch „Mehr“ und bietet buchstäblich mehr von allem, was seine Wertigkeit als tiefblickender Songschreiber, als analytischer Seelenschmied an Lebenszugewinn seinen Fans kredenzt. Sein achtköpfiges Inselorchester mit u.a. drei Streichern ist in allen Stilrichtungen zu Hause. Egal, ob Chanson, Blues, Folk oder gar einer gerappten Version von Walther von der Vogelweide. Und beim Cover „Marmor, Stein und Eisen bricht“ lässt er es auch während des Gewitterschauers richtig krachen.
Prahl ist ein inniger Texter! Einer, bei dem jedes Komma und jede Atempause wichtig sind. „Schön, dass du da bist“ ist an diesem Abend buchstäblich zum Heulen schön. Die Textzeile „Wenn wir uns nicht wiedersehen, ist Erinnerung alles, was uns bleibt“, wird verstärkt durch einen aufwühlenden sphärischen Gitarrenteppich, der von Akkordeon und Streichern zusätzliche Muster gezeichnet bekommt. Vor dem Song „Das ist meine Frau“ erzählt er, der in dritter Ehe seit neun Jahren wieder verheiratet ist, dass er zum Hochzeitstag immer drei Gedichte schreibe und seiner Frau überreiche. Die melancholischen Harmonien setzten sich live fort in „Wieso bist du immer noch da“, einer Reminiszenz an eine frühere Beziehung.
Er reflektiert rockig den Druck der Konsumwelt auf das Ich. Prädestiniert dafür der Titelsong seines ersten Albums „Blick aufs Mehr“. Aber auch „Heute fang‘ ich an“ sei so Prahl ein Stück, um aus dem Hamsterrade des Lebens auszusteigen. Als Gegenpol Klassik in Moll bei „Zu laut gelacht“. Dass er auch bissig sein kann, beweist er bei „Blablabla“ und „Für ein Amt (immer eine Null vorwählen)“, nachdem er gefragt hatte, ob im Publikum auch Beamte säßen.
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/prahl-axel-das-inselorchester
11. Juli 2023
„Ladies love outlaws“
Kiefer Sutherland live im Serenadenhof/Nürnberg
Der selige Waylon Jennings schrieb vor Dekaden mit „Ladies Love Outlaws“ einen Klassiker, der imaginär auch über der ausverkauften Show von Kiefer Sutherland im Nürnberger Serenadenhof hing. Zwei Drittel weibliche Fans. Dem restlichen Drittel Männer könnte man vordringlich eine Chauffeursfunktion unterstellen – und würde ihnen damit Unrecht tun. Denn Hollywood- und TV-Serienstar Kiefer ist auch ein begnadeter Singer/Songwriter. Und ein Erlebnis an kreativem Output!
2023 führte ihn die „So Full Of Love“-Tour nur zu zwei Shows nach Deutschland. Und er ließ es buchstäblich krachen! Nicht zu verwechseln mit krachend! Er war heftig laut! Insbesondere die beiden überragenden Gitarristen glänzten – in einer grandiosen Band - scharfkantig und wussten, dass man einen Amp auch auf Elf drehen kann. Ein Americana-Abend gespickt mit bluesigen Riffs, voller Dynamik und runden Harmonien wie in „Ole Lonely Life“ oder dem zusätzlich mit Slide-Passagen gespickten „Can’t Stay Away“.
Aber Kiefer wäre nicht Kiefer, wenn er nicht auch wüsste, wie man sein insbesondere weibliches Publikum abholt. In „Reckless & Me“ heulte er wie ein sehnsüchtiger Wolf gegen die Slidegitarre an und übergoss die Fans mit unendlicher Sentimentalität und Emotionen. Bei „Two Stepping In Time“ war die Befürchtung im 37 Grad vor sich hin dampfenden, grün-bewachsenen Serenadenhof groß, dass dieser Lovesong das aus ganz Deutschland angereiste Publikum umkippen lässt.
Und natürlich ist Kiefer auch ein grandioser Geschichtenerzähler. Vor „Bloor Street“ holte er ganz weit aus. Er wisse noch heute die Straßenecke, wo er seinen ersten Kuss hatte, jene, wo er den ersten Joint rauchte, oder die, an der er seinen ersten Gang-Arschtritt bekam. Aber Songs wie dieser unterstreichen exemplarisch, dass er auch ein toller Songwriter ist, der Geschichten in Harmonien hüllen kann. Einer, der in seinen Geschichten Moment, Augenblicke, ja Sekunden einfangen und dann in drei Minuten Songs wieder ausbreiten kann. Einer, der in „Countyjail Gate“ reflektiert, dass er in seinem Leben auch einiges an Scheiß gebaut hat. An diesem Abend aber legte er 90 Minuten Extraklasse vor die Füße seiner Fans, die ihm umgekehrt verdient huldigten!
Sari Beth Schorr überzeugte im Vorprogramm mit einer fulminanten und voluminösen Bluesstimme. Eine Sängerin, die man sich merken sollte!
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/sutherland-kiefer
25. Juni 2023
Prädikat besonders awesome
Patti Smith & Band beim Burg Abenberg Open-Air
(ein Gasttext vom Nürnberger Kollegen Uli Digmayer / thx dafür!)
Mit 76 Jahren ist der Tod längst ein treuer Begleiter geworden, es verwundert also kaum, dass Patti Smith im Laufe dieses Abends immer wieder verstorbenen Kollegen und Weggefährten ihren Tribut zollt. Jim Morrison, Jeff Beck, Tom Verlaine (Television), Tina Turner, natürlich Ehemann Fred „Sonic“ Smith - „awesome“ findet Mrs. Smith all diese Menschen, und das Gute ist: „awesome“, witzelt sie, bleibe man, ob nun dead or alive. Patti Smith selbst ist nicht nur quicklebendig, sondern so etwas wie eine Naturgewalt. Die „Godmother Of Punk“ beweist im idyllischen Ambiente von Burg Abenberg, dass Alter nicht vor Rohheit schützt. Wer eine seniorengerecht-gediegene Singer/Songwriter-Show mit Akustikgeklimper und wohligem Nostalgiefaktor erwartet, muss umdenken. Hier wird mit Unterstützung einer dreiköpfigen, perfekt eingespielten Band nach Herzenslust hingebungsvoll gerockt. „Because The Night“, „Dancing Barefoot“, „Gloria“, „Redondo Beach“ - die Klassiker des umfangreichen Songkatalogs klingen so gar nicht altersmilde. Die immer noch erstaunlich drahtige US-Amerikanerin mit der ergrauten Mähne ist aber nicht nur eine charismatische Rock’n’Roll-Schamanin, sondern auch humorvolle Entertainerin, feinsinnige Poetin, fluchende Furie, ökologisches Gewissen und engagierte Kämpferin für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. „The future is now!“, schreit sie dem Publikum mit fast beschwörerischem Impetus entgegen, die hippieske Weltverbesserungs-Hymne „People Have The Power!“ bildet den würdigen Abschluss eines tief bewegenden Konzertabends einer wahren Ikone. Denn mit 76 auf der Bühne stehen und „Pissing In A River“ singen - mehr Punk geht kaum. Prädikat: besonders awesome.
22. Juni 2023
Swingende Armadillos in Lone-Star-Beer-Staubwolke
"Calexico" im stürmischen Serenadenhof von Nürnberg
Dort, wo die Armadillos imaginär mit Lone Star Beer anstoßen und es trotzdem noch staubt. Irgendwo dort, zwischen der Gruene Hall in Luckenbach und der Pazifikküste, wo es so knochentrocken ist, dass die Tumbleweeds sogar schon durch den Druck von Trompetensound Meilen machen, da sind auch CALEXICO daheim. Howe Gelb war gerade erst im Nürnberger Hirsch. Jetzt setzten seine ehemaligen GIANT-SAND-Bandmates Joey Burns (voc, git) und John Convertino (dr) mit CALEXICO im Serenadenhof weitere Glanzpunkte. Buchstäblich! In der Bühnendeko sogar überdimensioniert nebeneinander gereiht an der Rückwand. Und so rund die Kreise waren, so rund der tanzbare Sound.
Brian Lopez (git, vox), optisch dem jungen Bob Dylan nicht unähnlich, legte als Solo-Singer/Songwriter los und „Calexico“ stiegen nach und nach als Begleitband mit ein. Er promotete damit sein demnächst erscheinendes Album. Als er im Publikum eine Frau mit XIXA-Bandshirt entdeckte, unterbrach er für eine Heimwehreminiszenz sogar das Set. Nachher reihte er sich wieder ein in den Gig von CALEXICO, der geprägt war von Burns‘ sanfter und zurückhaltender Stimme. Einer Stimme, die zerfloss im Aufkicktitel „Sunken Waltz“, den Song über den eher traurig degenerierenden Südwesten, in den die Band eher harmonisch tanzend, fast in Akkordeon-Schleifen schunkelnd einstieg. Faszinierend auch die Momente, als Martin Wenk an der Duesenberg-Fairytale-Lapsteel und den beiden Stringbendern z.B. bei Quattro die Harmonie-Wärme anschwellen ließ, um sie dann im Reverb beinahe in der Unendlichkeit zu verflüchtigen. Gleiches bei „Black Heart“ oder „Close Behind“, wo die Harmoniebrücken der Steel am anderen Brückenkopf mit den Bläsersounds das tanzbare Eheversprechen abgaben. „Quattro“ beeindruckte auch durch das akustische Rhythmus-Staccato von John Convertino, der ab der Textzeile „Love The Run But Not The Race“ seine Rim-Clicks stoisch durchzog. Gänsehaut bei Joey Burns fast zerbrechlicher Flüsterstimme, die expressiv die degenerative Hoffnungslosigkeit in „Woven Birds“ reflektierte. Und auch Gänsehaut bei den Trompetensounds in „Alone Again Or“. Was für ein Open-Air-Abend unter heftigem Sturmdach.
Die ganze Bilderstrecke wieder hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/calexico
17. Juni 2023
Haben wir schon wieder zu wenig Pandemie?
Über Markus Söder, Pizzera & Jaus, Lärmbeschwerde beim Open-Air am Regensburger Jahnstadion und die Lokalpresse
Markus Söder sagte während einer Corona-Video-Krisensitzung zu mir und anderen wie Wolfgang Krebs, dass man für die Aktion „Bayern spielt“ so viele Plätze wie möglich bespielen sollte. Und: Bayern brauche eine Verwaltung die nicht zuerst schaut, wie sie etwas verhindere, sondern wie sie möglichst viel ermöglichen könne.Was hat der Ministerpräsident mit „Pizzera & Jaus“ und dem Open-Air am Regensburger Jahnstadion zu tun? Na ja, Corona und die Quarantäneeinschränkungen sind scheinbar schon wieder vergessen. Geht es uns schon wieder zu gut, haben wir zu wenige Viren im Umlauf, könnte die Frage lauten?! Da gibt es eine Lautstärkebeschwerde von einer Person, die sich auch am Landeplatz des Rettungshubschraubers beim Uniklinikum stört und – die örtliche Lokalpresse macht daraus einen fünfspaltigen (!) Aufhänger. Könnte die Feststellung (nicht Frage!) nicht auch umgekehrt lauten: Nur eine Beschwerde beim Open-Air! Noch dazu eine, die von den Lärmmessungen widerlegt zu werden scheint. Doch in der Lokalpresse wird von „Magenweh“ durch „tiefe Basstöne“ berichtet. Nicht auszuschließen, dass weitere Leserinnen und Leser davon plötzlich auch Placebo-Magenschmerzen bekommen. Seit Corona wissen wir, dass man Placebo-Einbildungen auch herbeischreiben kann! Stattdessen kein Wort im Artikel, dass die Tonanlagen, die heutzutage bei solchen Veranstaltungen benutzt werden, gar nicht mehr so laut betrieben werden müssen. Die „Line Arrays“, also die Lautsprecherbananen, die fliegend an der Bühne hängen, sind so konstruiert, dass sie zielgenauer das Publikumsgelände beschallen – und damit auch wesentlich leiser betrieben werden können, als noch vor Jahren. Subjektiver Eindruck aus dem Bühnengraben: ich hatte meinen professionellen Gehörschutz wie immer mit dabei, habe ihn aber nicht gebraucht, weil die dort für das Publikum im Frontbereich der Bühne aufgestellten Boxen sehr moderaten Sound ausgeblasen haben. Bleibt zu hoffen, dass die Regensburger Genehmigungsbehörden diesen Fach- und Sachverstand auch draufhaben. Ich habe über 30 Jahre Veranstalterseminare organisiert, auch mit Dozenten aus dem Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR). Und die waren zwar hart, aber sie waren auch fit! Behördliche Veranstaltungsexperten!
Kein Wort davon im Artikel. Auch kein Wort zum Wert von Kultur nach Corona! Ist es uns lieber, wenn wir und unsere Kids wieder alle daheim eingesperrt würden? Bringt uns Kultur nicht auch wieder Leben und Normalität zurück? Und warum kein Vergleich oder Recherche, wie andere Städte mit solchen Veranstaltungen umgehen? In München gibt es seit mehr als einer Dekade einen Stadtratsbeschluss, wonach den Stadtbewohnern eine gewisse Anzahl von Open-Air-Konzerten im Olympiastadion zuzumuten sei. Gibt es einen solchen Beschluss auch in Regensburg? Falls nein, warum nicht? Könnte auch die Lokalpresse fragen? Die KVR-Beamten in München sagen seither bei Beschwerden: Leut‘ das müssen wir aushalten, das hat die Politik so beschlossen.
Und solche Großveranstaltungen machen auch in Regensburg Sinn! Wollen wir wirklich, dass unsere Kids sich auf die Autobahnen schmeissen, um solche Veranstaltungen in anderen Großstädten zu besuchen? Vom Verkehrsrisiko ganz zu schweigen! Meine Kids sind für „Pizzera & Jaus“ schon mal bis nach Wien gefahren! Mir als Vater, war diesmal wohler, weil sie „nur“ nach Regensburg mussten. Und dem kulturellen Anspruch einer Metropole sollten solche Veranstaltungen auch mehr Wertschätzung abfordern! Oder will Regensburg lieber Dorf genannt werden?
Ach ja, „Pizzera & Jaus“. Ein österreichischer Hymnen-Pop für die Unendlichkeit. Für die Fans, das Wohlfühlen „im Magen“ (!), den Kopf! Die Aaah-Uuuuuh-Oooohhh-Chöre liegen wie ein Klangbett unter vielen Titeln, bieten den Fans die Klammerpunkte, um sich immer wieder einzuklinken. Wenn bei „Danke, gut!“ im Fotograben vor der Bühne der tausendfache Chor von hinten aus dem Publikum lauter ist, als der Sound aus den Boxen, dann sagt das alles! Paul Pizzera und Otto Jaus, zwei voll sympathische Jungs von nebenan. Gebührend Nachfolger eines längst ergrauten Rainhard Fendrich, der ihr Opa sein könnte. Bei Themen wie Liebe, Beziehung, Trennung, Freundschaft haben es die Österreicher schon immer besser drauf. In Deutschland wird daraus zu oft noch plumpe Schlagersülze. In Österreich formen sie daraus Hymnen, wie „Pizzera & Jaus“ auf ihrer aktuellen „Comedian Rhypsody“-Tour. Anders als andere positionieren sie sich aber durchaus öfter gesellschaftspolitisch – gegen reaktionäre Politik in Österreich u.a.m. Chapeau!
Zwei nette Typen, die nie den Eindruck vermitteln, sie könnten die auch optisch große Open-Air-Bühne nicht ausfüllen! Wenn live die a-capella-Truppe „Das wird super“ ab und an mit auf die Bühne kommt, dann sind aber auch die keine Lückenfüller sondern ein zusätzliches vokales Sahnehäubchen. In mir haben sie jetzt definitiv einen Fan mehr – wenn auch Jahre zu spät, auf dem Weg „eine ins Leben“!
Die ganze 80er Bilderstrecke zu Pizzerea & Jaus hier:
17. Juni 2023
Danielle de Picciotto stellt in Kallmünz aus
Zur Vernissage mit Alexander Hacke/Einstürzende Neubauten im Künstlervillage
hackedepicciotto, was für zwei Namen, was für ein facettenreiches Gesamtkunstwerk! Alexander Hacke kennt man als langjährigen Gitarristen der "Einstürzenden Neubauten". Und seine Frau Danielle DePicciotto als Musikerin, Malerin, Autorin und bei den Wurzeln der LoveParade taucht ihr Name als damalige Partnerin von Dr. Motte auch unweigerlich mit auf.
Vorgestellt von BR-Legende Roderich Fabian waren beide zur Vernissage einer Auswahl ihrer Bilder in der Galerie "Beim Weißen Lamm" in Kallmünz vor Ort. Die Künstlerenklave Kallmünz ist in etwa so etwas, wie Positano für die Kreativen südlich von Neapel. Und - endlich! - "Neubürger" in Kallmünz ist jetzt auch Roderich Fabian.
16. Juni 2023
Modernes, lockeres und tiefsinniges Bayern
Pam Pam Ida beim Open-Air auf dem Münchner Königsplatz
Wenn man während Corona Songs schreibt wie „koa Moang“, dann könnte man nachdenklich werden. Auch Zukunftsangst könnte aufkommen. Aber PAM PAM IDA haben diese existenzielle Megabelastung überstanden. Gott sei Dank! Oder wem auch immer! Sicherlich auch der Mannschaft hinter ihnen!
PAM PAM IDA klingen wie ein modernes, lockeres, aber auch tiefsinniges Bayern. Meine Hymne ist „Vui zu stoiz“ – auch wenn ich früher mal recht gut Fußball gespielt haben soll. Die lyrische Tiefe von „Das ewige Nix“ ist ebenfalls dazu angetan, die Angst vor dem Ungewissen zu verlieren. Und so hat ihr Mundartrepertoire Songperlen an Songperlen gereiht.
Dass sie beim Münchner Königsplatz Open Air Hubert von Goisern fast die Schau, oder zumindest emotional das Publikum gestohlen haben, ist nicht nur die konsequente Logik aus der Bühnenperformance von „Pam Pam Ida und das Silberfischorchester“. Es ist die schlüssige Belohnung für tolles Songwriting, professionelles Performen und dem permanent optimistischen Blick nach vorne.
Die ganze 80er Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/pam-pam-ida
01. Juni 2023
Vorstufe zur Rock 'n' Roll Band im Himmel
Walter Trout mit toller Combo im Hirsch in Nürnberg
Dieser Walter Trout wäre mit seiner Krankengeschichte übrigens auch prädestiniert für eine Organspendenkampagne. Er lag mit kaputter Leber acht Monate im Krankenhaus auf Leben und Tod, bekam dann eine Transplantation und musste wieder Reden und Laufen lernen. Gottlob hat ihn die Rock 'n' Roll-Band im Himmel noch nicht gebraucht, wie er selbst erzählte. Dass man ihn in einer BBC-Umfrage auf eine Stufe mit Gitarrenlegenden wie Jimi Hendrix oder Jimmy Page stellte, muss man nach diesem Abend nicht nochmals erwähnen. Sein neues Album "Ride" ist voller Blues-Höhepunkte. Mega!
31. Mai 2023
Festivalticketsituation 2023 - im dpa-Interview
Auch von mir hat dpa wieder einen O-Ton zur Recherche der Festivalsituation mit Preisen, Personalsituation und Problemen für die aktuelle Situation im Sommer 2023 eingeholt. Hier eine der vielen Mitnahmen durch die tagesschau
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/festival-tickets-teurer-sommer-100.html
27. Mai 2023
Hell is in Hello
"Dreiviertelblut" tauchen Zeltfestival Lappersdorf in Empathiekessel
DREIVIERTELBLUT haben dem Zeltfestival Lappersdorf einen weiteren Glanzpunkt für spätere Erinnerungswehmut hinterlassen! Was für einen Gefühlsschwall! In manchen Momenten zum darin abtauchen und glücklich zu ertrinken. Um zum Luftholen aufzutauchen und der Tanzwut freien Lauf zu lassen.
Als ich vor Jahren zum ersten Mal die tiefe Stimme von Sebastian Horn gehört habe dachte ich, Lee Marvin hätte auf dem Weg westwärts in den gleichnamigen Wilden, einen stopover eingelegt und einen Sohn gezeugt, der als bajuwarischer „Wandering Star“ über die Tonleiter klettert. „Do I know where hell is? Hell is in Hello…“, so weit wären sie posthum auch im Geiste nicht auseinander.
DREIVIERTELBLUT haben mit dem Album „Plié“ gerade wieder ein matt im Mondschein schimmerndes Meisterwerk veröffentlicht. Mehr noch als das flockig tanzbare „Liebeslied“ hat mich das andere Liebeslied „Ewige Wolke“ gefesselt. Mit so epischen Zeilen wie „Wenn i mal stirb, dann woast du genau, wo du mi finden konnst und dann holst du mi aus meiner Wolkn hoam“. Oder auch in „Rosbluat und Schneider“, wo Selbstmörder auf Selbstmörderin oder Makaber auf Herzweh trifft und der Strick im Bach ersäuft. Fulminant das fesselnde „Im Schnee“ mit Wortfetzen wie „A Herz ohne Spur, a Leben ohne Uhr…da Himmel is da, wo i bin“. Da schweift die Gedankenwelt rüber zum Kurt Ostbahn und seiner Ewigkeitsballade „Jede Nocht so um die Zeit“. Zum niederknien! Beide!
Etliches davon haben sie bei ihrem vielumjubelten Auftritt live gespielt. Aber der fesselndste Moment war dann doch das Gedenken an den Hitler-Attentäter Georg Elser in „13 Minuten“. Die empathischen Momente der Erinnerung, wenn die lapsteel in die Harmonien einsteigt und daraus die Unendlichkeit erwächst – für den Song, für Georg Elser und für DREIVIERTELBLUT.
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/dreiviertelblut
23. Mai 2023
„Ein Loch braucht einen Rand“
Gerhard Polt & Die Well Brüder beim Zeltfestival Lappersdorf
„Wir bauen viel, aber wir hinterlassen nichts“, sagte Gerhard Polt bei einem Sketch. Indirekt brachte er damit auch das Dilemma von fehlender kulturpolitischer Wertschätzung für das zum letzten Mal stattfindende Zeltfestival in Lappersdorf auf den Punkt. Ein rühriger Veranstalter wie Alex Bolland musste den Entschluss fassen, das Festival aufzugeben. Dabei ist es eines seiner drei elementaren Standbeine. Wenn maßgebliche Menschen nicht einmal herauswürgen können „Ach wie schad‘, wie könnten wir Dir helfen, damit Du weitermachst?“, dann haben viele Ebenen versagt. Und nichts bleibt, um es mit Polts Gedanken fortzuführen. Jammern hilft ab nächstem Jahr auch nicht mehr!
Von diesem Gerhard Polt und den Well Brüdern erfuhr Veranstalter Alex Bolland vor ausverkaufter Zeltkulisse hingegen die verbale Erhebung in den Veranstalterolymp. Es gab in all den Jahren kein Zeltfestival, bei dem nicht irgendwer aus der Well-Familie oder Gerhard Polt dort auf der Bühne standen. (Kultur-)Politik vergisst das augenscheinlich leicht. Oder um es mit Polt in Bezug auf ein paar der größten politischen Demenzpatienten zu sagen: „Eine Gedächtnislücke braucht ein Loch und einen Rand“. Bei zwei namhaften Politikern habe es das augenscheinlich aktuell weder noch. Maut hin oder Cum-Ex her.
Der Auftritt von Gerhard Polt und den Well Brüdern war wieder das erwartete Feuerwerk. Von Papst Franziskus bis Kardinal Marx und Gloria von T&T, sie ließen nichts aus und auch nicht anbrennen. Selig all jene, die das miterleben durften!
Die ganze Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/polt-gerhard-die-well-brueder
15. Mai 2023
Rossbremsn mit Handwerkergästen
Martina Schwarzmann, Roman Roell, Markus Langer und Mathias Kellner beim Zeltfestival Lappersdorf
Rossbremsn haben nichts mit durchgehenden Gäulen und vergeblichen Versuchen zu tun, eine Stampede wieder einzufangen. Rossbremsn sind lebendig fliegende Natur, können stechen und durchaus unangenehm sein. So, dass auch eine wie immer glänzend aufgelegte Martina Schwarzmann - wie beim Titelfoto - die Hände vor die Augen schlägt und vorsichtig durch die Finger lugt. Sie sei gerne mit Schreinern auf Tour, weil man Handwerker brauchen könne. Das ist etwas ganz anderes, als wenn sich Politiker im Fasching in Zimmererkluft schmeissen und von einem schräg eingeschlagenen (verbalen) „Nogel“ zum nächsten nur bitterlich „blomieren.“ Beim Zeltfestival in Lappersdorf hatte Schwarzmann mit den Kabarettisten Roman Roell und Markus Langer zwei Handwerksmeister im Schlepptau. Das emotionalste Meisterstück lieferte allerdings Mathias Kellner ab, der voller Inbrunst und Melancholie, aber auch mal bluesig schnaubend zu einem finalen Höhepunkt wurde.
13. Mai 2023
Gemeinsame Session von Claudia Koreck und Werner Schmidbauer
"Zeltfestival Lappersdorf" gibt auf
Und das alles soll nicht förderbar sein, weil es fördertechnisch als „kommerziell und damit nicht bezuschussbar“ kategorisiert wird. Was läuft in unserer Kulturpolitik falsch? Ein Verweis, dass dies gegen EU-Beihilfeverordnung verstoßen würde zieht nicht. Dann haben die EU-Politiker:innen auch aus unserer Region hier eine Aufgabe, die Kulturförderung aus der EU-Beihilfeverordnung (die hauptsächlich für Ungleichheit im Speditionsverkehr geschaffen wurde) herauszulösen.
Die ganzen hunderter Bilderstrecken wieder jeweils am Ende der Galerien von Claudia Koreck und Werner Schmidbauer:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/koreck-claudia
https://www.allmusic.de/bildergalerie/schmidbauer-werner
06. März 2023
Schweiß auf Schweiß
SDP auf der "Gutes Schlechtes Vorbild"-Tour in der Donau-Arena, Regensburg
24. April 2023
Festivalsommer 2023
Auch in diesem Jahr hat mich die dpa wieder für eine Festivalumfrage insbesondere zur Personalsituation der Veranstaldenden interviewt. Hier ein paar der Mitnahmen von FAZ, Zeit-Online und SZ:
16. April 2023
Howe Gelb mit GIANT SAND in Nürnberg
XIXA als toller Support
24. November 2022
(photos by Marcus Cuff)
6 Sterne von 5 – Superlative
für neues Album von Stephen McCarthy & Carla Olson
Alle kennen Alben die keine einzige schwache Nummer aufweisen. LPs und CDs die man vom ersten bis zum letzten Takt durchhören und mit den Ohren einatmen kann. Bob Dylans „Desire“ war meine erste dieser Scheiben. Später auch das phänomenale Duettalbum „So Rebellious A Lover“ von Gene Clark & Carla Olson.
Jetzt ist dieser Carla Olson wieder eine solches Meisterwerk gelungen – zusammen mit Stephen McCarthy, den viele noch von „Long Ryders“, „Dream Syndicate“ oder „Danny & Dusty“ kennen. Das Album „Night Comes Falling“ besticht mit klaren Gitarrensounds, unzähligen Hooklines und fesselnden Duetten.
Hier das allmusic.de-Interview mit Stephen McCarthy und Carla Olson.
Review: STEPHEN McCARTHY & CARLA OLSON / Night Comes Falling |
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Die Uptempo-Nummer „We Gotta Split This Town“ knallt einen mit treibenden Gitarren gleich richtig nieder. Der Titeltrack „Night Comes Falling“ besticht durch ein klares Duett über dem ein Hauch vom Geist des legendären Gene Clark weht. „Broken Lullaby“ hat den Charme erhabener Entspanntheit. Ein edler Höhepunkt, dem Jeff Lewis mit dem Flügelhorn die Krone aufsetzt! In „The Bell Is Burning“ glänzt der Duettgesang mit der sentimentalen Empathie, wie man es emotionaler nur bei „So Rebellious A Lover“ gehört hat. Der Sprung in das lebendige „Brick Of The Blues“ könnte überraschender nicht sein. Aber im Swimmingpool warmer Pedal Steel Guitar-Klänge könnten die Ohren weitere harmonische Stunden verbringen. Auch die Cover-Versionen von Chris Hillmans „Desert Rose Band“ „One That Got Away“ und „Don’t Talk To Strangers“ von den legendären „Beau Brummels“ haben durch Carla Olson als Produktion ihren eigene Touch bekommen. Beim zunächst melancholischen „Back To Seventeen“ beeindruckt das bis zum Zenit dynamisch anschwellende Arrangement. „Just To Get To You“ ist eine treibende Countrynummer mit kantigem Gitarrenriff und Dobro. „Timber“ habe ich schon in der früheren Version von Carla geliebt. Sie haben es neu arrangiert und es ist ein weiterer Harmonie-Höhepunkt. Final ist der Gene Clark-Song „I Remember The Railroad“ ein glänzender Abschluss dieses tollen Albums. Emotionale Gesangsstimmen, Fiddle, Mandoline. Sechs Sterne von fünf, um eine neue Superlative zu schaffen! ****** |
Wer hatte die Idee zu diesem gemeinsamen Album und wie kam es dazu?
Carla Olson: Ich habe mindestens 25 Jahre lang versucht ein Soloalbum für Stephen McCarthy zu produzieren. 2018 traten Stephen und ich zusammen beim Wild Honey Tribute für Buffalo Springfield auf und fanden, dass es ziemlich gut klang wieder zusammen zu singen. Wir haben dann ziemlich schnell mit der Planung für das Album begonnen.
Wie lange kennt ihr euch schon? Wann haben Sie zum ersten Mal zusammengearbeitet?
Stephen McCarthy: Carla und ich haben uns wahrscheinlich vor 35 Jahren kennengelernt, als unsere Bands auf den gleichen Bühnen unterwegs waren. Sie war immer mit verschiedenen Aufnahmesessions aktiv und ich hatte das Glück 1987 eingeladen zu werden, auf ihrem Album „So Rebellious A Lover“ mit Gene Clark zu spielen. Ich arbeitete auch an einem anderen Compilation-Album, das sie produzierte. Carla und ihr Mann Saul Davis haben mich immer sehr unterstützt! Der Samen für unser Duett-Album wurde damals gelegt und ich bin begeistert, dass wir endlich die Zeit dafür gefunden haben.
Carla Olson: Es scheint, als wäre es erst gestern gewesen, aber wir haben uns 1984 in Los Angeles getroffen, als The Textones in denselben Clubs spielten wie The Long Ryders. Als Gene Clark von den Byrds und ich 1986 ein Duett-Album mit dem Titel „So Rebellious A Lover“ aufnahmen, spielte Stephen bei zwei Songs Dobro und Lap Steel. Ein paar Jahre später nahmen Stephen und ich auch den Song „Lovin’ Arms“ von Tom Jans für das Album True Voices auf, das von Textones-Gitarrist George Callins produziert wurde.
Habt ihr beide Lieblingsstücke? Welche?
Carla Olson: Night Comes Falling, der Titelsong, ist mein persönlicher Favorit. Dieses Lied reflektiert das, wie der verstorbene Gene Clark immer noch in meinen Träumen auftauchte. Stephen nahm diese Idee auf und wir schrieben einen Song.
Stephen McCarthy: Ich würde auch sagen, der Albumtitel „Night Comes Falling“ ist mein Lieblingssong. Das war das Erste, was wir gemacht haben, und es war wirklich der Funke, der uns zu der Erkenntnis brachte, dass wir eine coole Platte machen könnten. Aber eigentlich sind alle Songs Favoriten für mich.
Viele Lieder sind Hymnen. Viele mit herrlichen Duetten. Das Album hat keinen schwachen Song. Wie schafft ihr diese hohe Qualität? Wie viele Songs habt ihr aufgenommen und wie viele verworfen?
Stephen McCarthy: Carla und ich sind in einer Zeit aufgewachsen, in der die Single wichtig war. Die Songs waren im Durchschnitt 2 1/2 Minuten lang und man musste schnell zum Refrain kommen, um ihn unvergesslich zu machen. Danke, dass du denkst, dass das Album keine schwachen Songs hat.
Carla Olson: Wir haben alle Songs, die wir zusammen geschrieben haben auch verwendet. Plus auch einen von „The Desert Rose Band“ und einen weiteren von der Band The Beau Brummels aus den sechziger Jahren. Wir haben Gene Clarks „I Remember The Railroad“ aus dem von mir produzierten Album „Americana Railroad“ aufgenommen. Der Text zu „Bell Hotel Is Burning“ wurde von George Green geschrieben, der auch einige von John Mellencamps Texten geschrieben hat, darunter „Hurt So Good“, „Crumblin‘ Down“ und „Rain On The Scarecrow“. Stephen und ich haben Musik für diese Geschichte über ein Grand Hotel aus dem späten neunzehnten Jahrhundert geschrieben, dessen Gäste im Laufe seiner Geschichte von Königen und Gesetzlosen bis hin zu Obdachlosen reichten.
Ich liebe die treibende Kraft von „We Gotta Split This Town“. Wer treibt hier wen an?
Carla Olson: Stephen hatte eine Idee für ein Lied, in dem ein Typ aus dem Gefängnis kommt und seine Freundin sagt, dass sie bereit ist, ihn zu verlassen, wenn er Ärger nicht vermeiden kann. Das Video, das Tim Roth für den Song gemacht hat, ist nicht zu ernst gemeint, aber wir lieben, was er gemacht hat!
Stephen McCarthy: Das Lied ist eine hektische Unterhaltung zwischen einem Paar, das vor dem Gesetz davonläuft mit einem treibenden Viertelbeat auf der floor drum, der sie vorantreibt. Ich denke, sie sind beide begierig darauf, an einem neuen Ort zu sein. Sie versuchen, ihrer Vergangenheit davonzulaufen, also schieben sie sich gegenseitig an.
Die hellen Gitarren auf „NIght Comes Falling“ erinnern mich ein bisschen an „Band Of Blacky Ranchette“ oder Roger McGuinn. Oder wer oder was hat das beeinflusst?
Stephen McCarthy: Ich kannte „Band Of Blackie Ranchette“ gar nicht so sehr, aber ich habe sie mir angehört und sie sind großartig! Sehr talentierte Jungs. Ich schätze, jedes Mal, wenn man eine 12-saitige E-Gitarre in die Hand nimmt, könnte Roger McGuinn als Einfluss herangezogen werden, und das ist für mich in Ordnung. Ich denke, der Haupteinfluss an diesem Punkt in meinem Leben sind einfach die musikalischen Erfahrungen, die ich auf dieser langen Reise gesammelt habe. Die 12-saitige Gitarre hat etwas Magisches und scheint wirklich zur Stimmung des Songs zu passen. Wahrscheinlich ist der Haupteinfluss nur Carla, die die Geschichte aus ihrem Traum erzählt. Dies wurde zur Grundlage des Songs und des Albums.
Carla Olson: Und ich bin einfach glücklich, meine alte Les Paul zu spielen.
Der Gesang auf „Broken Lullaby“ hat etwas Erhabenes. Etwas Edles! Sehr nobel! Das Flügelhorn ist faszinierend. Wie kam es zu dieser Besetzung und dem Arrangement?
Carla Olson: Danke für diese freundlichen Worte. Manchmal sieht man die Ungerechtigkeiten des Lebens und muss darüber schreiben. Ich liebe Hörner ~ Saxophon, Trompete, Flügelhorn. Stephen kennt eine Million Akkorde, die die Songs verschönern.
Stephen McCarthy: Das musikalische Thema hat ein melancholisches Motiv, das zu einer Geschichte über Selbstreflexion führt. In diesen herausfordernden Zeiten haben viele Menschen Mühe es zu schaffen. Der Chor weist darauf hin, dass wir alle mehr tun müssen, um den Leidenden zu helfen!
Ich liebe die Pedal Steel auf „Brink Of The Blues“. Warum hast du die Steel Guitar nicht öfter benutzt?
Stephen McCarthy: Die pedal steel ist mein Lieblingsinstrument, aber ich wollte sie nicht bei jedem Song verwenden, weil es uns stilistisch in die Enge getrieben hätte. Wir haben sie aber bei ein paar Songs auf dem Album verwendet.
Carla Olson: Ich bin mir nicht sicher, ob das so beabsichtigt war. Stephen ist jedoch auf allen seinen Instrumenten ziemlich talentiert.
Ich finde "Timber" wunderbar. Der Song wurde 2020 veröffentlicht. Warum hast du ihn trotzdem auf das Album gepackt?
Carla Olson: Timber war auf meinem Duett-Album „Have Harmony, Will Travel 2“ aus dem Jahr 2020, das in derselben Woche veröffentlicht wurde, in der die Corona-Pandemie ausbrach. Da es ein so lustig zu singendes Lied ist, haben wir es hier nochmals aufgenommen.
Stephen McCarthy: Ich mag es sehr Cover-Songs neu zu einzuspielen, und ich habe das Gefühl, dass wir das mit diesem Song gut hinbekommen haben.
Blickt Ihr beide in „Long Way Back To Seventeen“ auf ein allgemein erfülltes Leben zurück? Ist das ein so entspannter Blick in Ihre Vergangenheit, wie das musikalische Laid-back-Arrangement vermuten lässt?
Carla Olson: Die Texte sind nicht unbedingt biografische, eher Beobachtungen. Manchmal macht der Weg des Lebens Windungen und Wendungen, bringt dich aber schließlich wieder dorthin zurück, wo du angefangen hast. Die Musik hat viele Bewegungen, wie die Geschichte auch.
Stephen McCarthy: Der Großteil der Texte stammt von Carla. Ich habe mir die Musik und die Melodie ausgedacht, also war es eine großartige Zusammenarbeit. Skip Edwards steuerte das grandiose Streicherarrangement bei. Man sagt, man vergisst nie seine erste Liebe. Das Thema dieses Songs reflektiert ein langes Leben voller Kämpfe, wird aber auf wundersame Weise mit ihrer ersten Liebe wiedervereinigt. Das Arrangement wechselt je nach Stimmung und Text von Dur nach Moll.
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November 24th, 2022
(photos by Marcus Cuff)
6 stars out of 5 – superlatives
for new album by Stephen McCarthy & Carla Olson
Everyone knows albums that don't have a single weak track. LPs and CDs you can listen to from the first to the last bar and “breathe in with your ears”. Bob Dylan's "Desire" was my first of these discs. Later also the phenomenal duet album "So Rebellious A Lover" by Gene Clark & Carla Olson.
Now Carla Olson has again created such a masterpiece - together with Stephen McCarthy, whom many still know from "Long Ryders", "Dream Syndicate" or "Danny & Dusty". The album "Night Comes Falling", also produced by Carla Olson, impresses with clear guitar sounds, countless hook lines and captivating duets.
Here is the allmusic.de-interview with Stephen McCarthy and Carla Olson.
Review: STEPHEN McCARTHY & CARLA OLSON / Night Comes Falling |
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The uptempo song "We Gotta Split This Town" really slams you down with driving guitars. The title track "Night Comes Falling" features a clean duet overlaid with a whiff of the spirit of the legendary Gene Clark. "Broken Lullaby" has the charm of sublime relaxation. A noble climax, which Jeff Lewis crowns with the flugelhorn! In "The Bell Is Burning" the duet singing shines with the sentimental empathy one has only heard more emotionally on "So Rebellious A Lover". The leap into the lively "Brick Of The Blues" couldn't be more surprising. In the pool of warm pedal steel guitar sounds, the ears could spend more harmonious hours. The cover versions of Chris Hillman's "Desert Rose Band" "One That Got Away" and "Don't Talk To Strangers" by the legendary "Beau Brummels" have also been given their own touch by Carla Olson as a producer. The initially melancholic "Back To Seventeen" impresses with the arrangement, which dynamically swells to the zenith. "Just To Get To You" is a driving country number with an edgy guitar riff and dobro. I loved "Timber" in the earlier version of Carla. They've rearranged it and it's another harmony highlight. Finally, the Gene Clark song "I Remember The Railroad" is a brilliant conclusion to this great album. Emotional vocals, fiddle, mandolin. Six stars out of five to create a new superlative! ****** |
Who had the idea for this joint album and how did it come about?
Carla Olson: I had been trying for twenty five years or more to produce a solo album for Stephen McCarthy. In 2018 Stephen and I performed together at the Wild Honey Tribute to the Buffalo Springfield and thought it sounded pretty good singing together again. In fact we promised Stephen that we would start planning this album ASAP.
How long do you know each other? When did you first work together?
Carla Olson: It seems like just yesterday but we met in Los Angeles in 1984 when The Textones were playing the same clubs as The Long Ryders. When Gene Clark of the Byrds and I recorded a duet album in 1986 called So Rebellious a Lover, Stephen played dobro and lap steel on two songs. A few years later Stephen and I also recorded the Tom Jans song Lovin’ Arms for the album True Voices produced by Textones guitarist George Callins.
Stephen McCarthy: Carla and I met 35 years ago probably when our bands played on the same bill.
She was always active with different recording projects and I was fortunate enough to be invited to play on her album so rebellious a lover with Gene Clark in 1987. I also worked on another compilation album she produced. Carla and her husband Saul Davis has always been very supportive of me! The seed for our duet album was planted back in those days and I’m thrilled that we finally found the time to do it.
Do you both have favorite pieces? Which one?
Carla Olson: Night Comes Falling, the title track, is my personal favorite. That song was the result of the late Gene Clark always appearing in my dreams. Stephen took that idea and we wrote a song.
Stephen McCarthy: I would say the album title “Night Comes Falling” is my favorite song. This was the first thing we did and it really was the spark that made us realize we could make a cool record. If I start listing favorites I’ll name every song.
Many songs are anthems. Many with splendid duets. The album doesn't have a weak song. How do you manage this high level of quality? How many songs did you record and how many discarded?
Carla Olson: We used all the songs we wrote together and also picked a song written by The Desert Rose Band called One That Got Away and another, Don’t Talk To Strangers, from sixties band the Beau Brummels. We included Gene Clark’s I Remember The Railroad from the Americana Railroad album that I produced. The Bell Hotel Is Burning lyric was written by George Green who wrote some of John Mellencamp’s lyrics including Hurt So Good, Crumblin' Down, and Rain On The Scarecrow. Stephen and I wrote music for this story about a grand hotel from the late nineteenth century whose guests ranged from kings and outlaws, and the homeless through it's history.
Stephen McCarthy: Carla & I were raised in a time when the 45rpm single was so important. Songs on average were 2 1/2 minutes long and you had to get to the chorus quickly and make it memorable. Thank you for thinking the album doesn’t have any weak songs. I would agree with you but the artist really can’t be a critic. We used most everything we recorded.
I love the driving force of "We Gotta Split This Town". Which of you two is pushing whom?
Carla Olson: Stephen had an idea for a song where a guy gets out of jail and his girlfriend says she’s ready to quit him if he can’t stay out of trouble. The video that Tim Roth made for the song is not meant to be too serious but we love what he did!
Stephen McCarthy: The song is a frantic conversation between a couple running from the law with a driving 4 on the floor drum beat propelling them along. I think they are both are eager to be somewhere new. They are trying to outrun their past so they are both pushing each other.
The bright guitars on “NIght Comes Falling” remind me a bit of “Band Of Blacky Ranchette” or Roger McGuinn. Or who or what influenced you?
Stephen McCarthy: I wasn’t very familiar with “Band Of Blackie Ranchette” but I looked them up & they are great! Very talented guys. I guess any time you pick up an electric 12 string Roger McGuinn could be mentioned as an influence and that is fine by me. I think the main influence at this point in my life is just the musical experiences I’ve collected on this long journey. There is something magical about the 12 string guitar and it really seem to fit the mood of the song. Probably the main influence is just Carla relating the story from her dream. This became the foundation of the song and the album.
Carla Olson: I’m just happy to play my old Les Paul.
There is something sublime about the singing on “Broken Lullaby”. Something noble! Very noble! The flugelhorn is fascinating. How did this instrumentation and the arrangement come about?
Carla Olson: Thanks for those kind words. Sometimes you see life’s injustices and have to write about them. I love horns ~ sax, trumpet, flugelhorn. Stephen knows a million chords that dress up the songs.
Stephen McCarthy: The musical theme has a melancholy motif that leads into a story about self reflection. In these challenging times many people are struggling to make it. The chorus is pointing out that we all need to do more to help those that are suffering! Carla came up with the idea for the flugelhorn solo. She really did a lot of work with the arrangements and production on this album. Mikal Reid was also very important, his ideas, helping with production and engineering. There is a lift in the bridge and It needed something more compelling than a guitar solo. I think Carla had the original idea for the song and we traded ideas back-and-forth to finish it.
I love the pedal steel on "Brink Of The Blues". Why didn't you use the steel more often?
Stephen McCarthy: The pedal steel is my favorite instrument but I didn’t want to use it on every song because it would paint us into a corner stylistically. We did use it on a few songs on the album.
Carla Olson: I’m not sure if that was intentional. However Stephen is quite talented on all his instruments.
I think "Timber" is wonderful. The song was released in 2020. Why did you put it on the album anyway?
Carla Olson: Timber was on my 2020 Have Harmony, Will Travel 2 duet album that was released the same week that the pandemic hit. Since it is such a fun song to sing together we wanted to include it here.
Stephen McCarthy: I have a strong desire to re-invent cover tunes and I feel like we accomplished that with this song.
Do you both look back on generally fulfilling lives in "Long Way Back To Seventeen"? Is that such a relaxed look into your past as the relaxed musical arrangement suggests?
Carla Olson: The lyrics are not necessarily biographical ones but an observation. Sometimes life’s road makes twists and turns but eventually puts you back where you started. The music has many movements like the story has.
Stephen McCarthy: The bulk of the lyrics are Carla’s. I came up with the music and melody so it was a great collaboration. Skip Edwards contributed the terrific string arrangement. They say you never forget your first love. The subject of this song is reflecting on a long life filled with struggles but is miraculously reunited with their first love. The arrangement switches from major to minor mode depending on mood and lyrics.
11. August 2022
backstage heroes:
„Unser Job als Techniker ist es unauffällig zu sein. Das wurde uns während Corona zum Verhängnis“
Udo Lindenbergs Crewmembers reflektieren ihre Erfahrungen mit der Bürokratie und fehlender Wertschätzung / Krise in der Branche ist nicht vorbei – im Gegenteil
(München) Den Begriff „backstage heroes“ führte während der Corona-Pandemie Matthias Gibson, ehemaliger BMG-Ariola-Geschäftsführer und Manager von Peter Maffay, in die kulturpolitische Diskussion ein. Er meinte damit die vielen, oft hochqualifizierten Freiberufler, die eine aufwändige Kulturproduktion im Hintergrund erst möglich machen. „Unser Job als Techniker ist es unauffällig zu sein! Und genau das ist uns während Corona zum Verhängnis geworden, genau deswegen hatte uns niemand auf dem Schirm“, sagt Claus (49) und LED-Techniker in der Produktionscrew von Udo Lindenberg. Und Veranstaltungstechniker Alex (34) über jene, die die Branche verlassen haben: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lässt.“ Hier liegt das Dilemma für den bevorstehenden Herbst. Die Politik hat keine Konzepte und keinen Plan für die Kulturbranche. Tourneen brechen gerade dutzendweise weg. Die Kulturpolitik ignoriert das, spricht von einem tollen Festivalsommer. Technikcrews graut vor dem Herbst und der nochmaligen Perspektive Hartz IV. Denn wer in der ersten Pandemiephase Anträge auf Hilfsgelder stellte, berichtet von unglaublichen Vorgängen und Abläufen im Kampf mit der Bürokratie. Wir konnten einige zufällig ausgewählte Betroffene bei der „Udopium-Live“-Produktion hinter den Kulissen befragen und Bilanz ziehen.
Die Produktion mit der Udo Lindenberg diesen Sommer rund zwei Monate auf umjubelter Tournee war, umfasste Equipment, das mit 18 Sattelschleppern transportiert wurde. Zusätzlich waren die rund 100 Produktionsmitarbeitende mit vier Nightlinern (Busse mit Ruhekojen), zwei Bandbussen und einem Bus für die Kindertruppe der Show unterwegs.
Alles hoch spezialisierte und qualifiziert Experten und Fachleute, die es schaffen einen gesamten Bühnenaufbau mit LED-Wänden, Lautsprechern, Lampen und zigtausenden von Einzelteilen wie ein großes Puzzle am frühen Morgen ab 6 Uhr in der Münchner Olympiahalle auf- und bis nachts um 3 Uhr wieder abzubauen - und so zu verstauen, dass das Ganze am nächsten Veranstaltungsort wiederholt werden kann. Von der logistischen Ablaufperfektion, der Flexibilität und Koordinationsfähigkeit dieser nochmals um weitere rund 100 örtliche Helfer verstärkten Truppe könnte jede Behörde lernen! Dann wäre mit Sicherheit auch die Corona-Krise in Deutschland besser bewältigt worden.
Alle Gesundheitsminister wären begeistert von der Disziplin bei der Udo Lindenberg-Produktion. Zur Ausrüstung gehört auch eine mobile PCR-Teststation. Wir kommen erst backstage in die Olympiahalle, nachdem vor Ort der PCR-Test negativ ist. Ansonsten werden alle in der Truppe täglich mit Schnelltests gecheckt und laufen von früh bis spät mit FFP2-Maske umher. Nach freien Tagen oder Abwesenheit aus der Crew, kommt man nur mit negativem PCR-Test wieder zur Truppe. Es ist ein Leben wie in einer Hygieneblase – von Mai bis Juli, wochentags und am Wochenende.
Diese Menschen nehmen für ihren Beruf immense Strapazen auf sich. Alle lieben ihren Job. Dafür brennen sie. Aber Politik und deutsche Bürokratie zeichneten während der Pandemie dafür verantwortlich, dass etliche Menschen die Branche ausgebrannt verlassen haben. Auch Selbstmorde sind durch die Medien bekannt geworden.
Bürokratie unvorbereitet und heillos überfordert
„Ich war plötzlich arbeitslos, beziehungslos, wohnungslos und perspektivlos!“ sagt Marcus (61) und Stagemanager. Er wollte mit 60 aufhören und die Stadiontour von Udo Lindenberg, der 2021 damit auch sein 75. Lebensjahr gefeiert hätte, sollte der Schlusspunkt sein. Stattdessen musste er viele seiner Rücklagen aufbrauchen und jetzt zudem weiterarbeiten. „Am meisten ärgert mich persönlich, dass man mich quasi als Verbrecher hingestellt und das Gefühl vermittelt hat, ich würde den Staat betrügen“. Er, der in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt mit Stars wie Falco, Wolfgang Ambros, OPUS, Gianna Nannini, Peter Maffay, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen, PUR u.v.m. unterwegs war, hat in dieser Zeit in Deutschland erhebliche Steuern bezahlt. Für diese Weltstars war er honoriger und zuverlässiger Partner – geschäftlich, sowie als Mensch. „Aber für die deutsche Bürokratie wurde ich im Krisenausnahmefall zum potentiellen Verbrecher, der sich ein paar Euros erschleichen wollte.“ Marcus redet von dem Krisenwerkzeug, das die Politik „vereinfachte Grundsicherung“ genannt und fast als paradiesische Metapher gepriesen hat, wie andere das Hartz IV-Level umschreiben.
„Ich war ja nicht arbeitslos, weil ich einen schlechten Job für einen meiner Künstler abgeliefert hätte“, fährt er fort. „Meine Arbeitsleistung ist immer 150 Prozent“ sagt er, der enorme auch sicherheitstechnische Verantwortung trägt, wenn viele der rund 200 Menschen die in der Halle buchstäblich beim Aufbau „wuseln“, zu koordinieren sind. Flexibilität ist eine der größten Herausforderungen in der Veranstaltungsbranche. Das hätte er auch von der Verwaltung erwartet, mit der er während Corona in Konflikt geriet. Flexibilität, Praxis- und Menschennähe hat er von der Bürokratie aber nicht zurückbekommen. Es gab Probleme, weil er bis Corona bei seiner Freundin wohnte, während sein Sohn mit Partnerin in seiner Wohnung blieb. Nach der Trennung gab es Differenzen bei der Berechnung des Wohngeldes. Es dauerte Monate, bis er endlich eine, dann auch teurere, Wohnung fand: „Man kann sich in einer Großstadt ja ganz toll bewerben – als selbständiger Arbeitsloser in der Veranstaltungsbranche“, so sein sarkastisches Fazit. Die Bürokratie wollte weder seine Argumente hören noch sich sachlich damit auseinandersetzen und zahlte nur anteilig. Er war dann froh, als es nach einem weiteren halben Jahr endlich Soloselbständigenhilfe gab.
Gefangen im "Staatsversagen"
Fast noch krasser erging es Klaus (53), Gitarrentechniker seit 1998. Den Job macht er seit Jahrzehnten für „zwei große alte Herren der deutschen Popgeschichte“ und vor Corona hatte er damit über 200 Tage im Jahr gut zu tun. Einer ist Udo Lindenberg. Auch Klaus hat seine Familie in einer Großstadt zu ernähren und auch ihm habe die Grundsicherung „einen echten Strich durch die Rechnung gemacht“. Weil die Politik zu lange inaktiv war, hat er angefangen in einem Musikfachgeschäft auf 450 €-Basis zu arbeiten. Später hat er dieses Einkommen dem Jobcenter zur Berechnung seines Bedarfes mit angegeben. Und war der Meinung, dass das in die Berechnung mit eingeflossen sei. Unlängst bekam er die Quittung und man will jetzt für 15 Monate jeweils 450 € von ihm wieder zurückhaben. Weil sich eine „Verwaltung scheinbar nie verrechnet“, liegt das ganze jetzt beim Anwalt. Sein Fall zeigt auch exemplarisch, wie ein unsensibles Bürokratieverhalten bei den Menschen, die eigentlich volle Auftragsbücher hatten und fern jeder Hartz IV-Mentalität lebten, zu Verbitterung führen kann. Hier hat das selbst von der Politik benutzte Wort von „Staatsversagen“ seine Berechtigung bewiesen.
Er bedauert, jemals ein Hilfsprogramm in Anspruch genommen zu haben, findet den Begriff der „unbürokratischen Hilfe“ einen Hohn. Erst im Interview mit uns erfährt er, dass es in der gleichen Verwaltung einen sehr engagierten Künstlerdienst des Jobcenters gegeben hätte. Das hat ihm die Verwaltung aber nicht kommuniziert.
Bürokratie unterirdisch
Bühnenbauer Alex (48) hat es gleich doppelt heftig erwischt. Die Frage, wie es ihm ergangen ist, beantwortet er deftig: „Beschissen wäre noch geprahlt!“ Seine Frau arbeitet im gleichen Gewerbe, ist bei ihm angestellt und versorgt daheim gerade die beiden gemeinsamen kleinen Kinder im Vorschulalter, während er mit Udo Lindenberg unterwegs ist. In wenigen Wochen tauschen sie die Rollen. Dann ist seine Frau mit PUR unterwegs und er betreut die Kids.
Dieses Anstellungsverhältnis kickte ihn schon mal aus der Soloselbständigenhilfe. Er teilt damit auch das Schicksal anderer berühmter Fernsehkabarettisten, die ihre Frau z.B. für die Betreuung der Online-Auftritte angestellt hatten und deshalb nicht in das von Bürokratieköpfen erdachte Förderschema passten.
Alex angefressen: „Früher wurde ich mal gefragt, was das Schlimmste sei, das mir passieren könnte. Da dachte ich noch, dass mir mal vielleicht jemand mein Werkzeug für 15.000 € klauen könnte“. Um ernüchternd fortzufahren: „Aber Corona und die unrealistischen Hilfen für die Veranstaltungsbranche haben das um ein Vielfaches überstiegen“.
Erschwerend kam bei ihm hinzu, dass er während der Pandemie in ein anderes Bundeslang umgezogen ist. Bis die Bürokratie Akten im Digitalzeitalter transferiert, ist für ihn als Logistik-Crack unfassbar. Er konnte nur überleben, weil er seine für die Alterssicherung gedachten 75.000 € Rücklagen für den Fortbestand des Gewerbes und die Bedarfe der Familie aufbrauchen, oder in seinen Worten „verplempern“ musste.
Die deutsche Bürokratie war mit dieser Spezies Mensch aus der Veranstaltungsbranche völlig überfordert. Dass da Menschen mit vollen Auftragsbüchern vor einem möglicherweise schlecht bezahlten Verwaltungsangestellten saßen, offenbarte sich schon früh als Dilemma im Vakuum von Arbeitslosigkeit und Berufsausübungsverbot. Ob der Quantitätsfaktor mit ursächlich für den Qualitätsverlust der Bürokratie wurde, ließe nur den Spekulationen freien Lauf und wäre eigentlich eine Aufgabe für die Bürokratieabbaubeauftragten allerorten.
Und Alex berichtet von einem anderen Kuriosum, einem „fast schon verdeckten Anruf“ der Bürokratie. O-Ton gerafft: Man habe den sozialen Medien entnommen, dass Künstler jetzt (Anm.: Januar 2022) ihre Mitarbeiter unterstützen oder anstellen würden. Zudem sei die Branche Anfang 2022 doch wieder im Aufwind und der Hilfebedarf damit doch obsolet geworden. Im Internetzeitalter sind Erwachsene allseits angehalten ihren Kindern zu erklären, dass man nicht alles auf Social Media glauben dürfe. Und dann kommt eine deutsche Behörde und plappert ungeprüft etwas daraus nach. Augenscheinlich bezog man sich auf eine der Größen im deutschen Rockgeschäft, der aber hauptsächlich sein Büropersonal weiterbeschäftigt hatte. Als Unbedarfter im Verwaltungsdickicht weiß ein Antragsteller aber nicht, dass so ein Behördenverhalten bestens geeignet ist für eine Dienst- bzw. Fachaufsichtsbeschwerde um sich zu wehren.
Jobwechsel statt Bürokratiekampf
Stattdessen hat das Image der Behördenrepressionen und Rückforderungen dazu beigetragen gar keine Hilfsanträge zu stellen. LED-Techniker Claus: „Ich weiß von vielen, die lieber nichts beantragt hatten, um nichts falsch zu machen, weil es unheimlich kompliziert war.“ Er selbst ist relativ glimpflich durch Corona gekommen, da er noch für einen anderen Künstler arbeitet, der eine Fernsehsendung hat und somit die Beschäftigung nicht komplett auf null gefallen ist.
Anders Johannes (34), Veranstaltungstechniker. Er hat zu Pandemiebeginn zunächst in einer Zimmerei gejobbt und sich später als technischer Leiter eines Impfzentrums seiner süddeutschen Heimatstadt über Wasser gehalten. Hier kam er über sein ehrenamtliches THW-Engagement rein und als sich herausstellte, dass für die Zulassung eines Impfzentrums in der Halle eine Fachkraft für Veranstaltungstechnik erforderlich war, fiel die Wahl auf ihn. Zumal er die Hallenlogistik von Konzerten, die er mit betreut hatte, schon kannte.
Er berichtet aber auch von „vielen Ex-Kollegen, die während Corona in die Elektrobranche abgewandert sind und jetzt Elektroladesäulen für Autos aufbauen“. Von zahlreichen hätte er gespiegelt bekommen, dass die wohl nicht mehr in den Tourbetrieb zurückkämen. Denn sie haben die Annehmlichkeiten erkannt, regelmäßige Arbeitszeiten zu haben, sowie abends und an Wochenenden daheim bei der Familie sein zu können. Alex: „Die brennen nach wie vor für den Musikjob, aber hier fehlt ihnen die Sicherheit des Einkommens, wenn die Politik die Soloselbständigen bei der nächsten erwartbaren Notlage wieder im Bürokratiedschungel hängen lasse.“
Kabarettistin Birgit S. und Musiker Dieter W. hatten während der Pandemie sogar via Social Media vom Treffen mit einem Landeskunstminister berichtet, der den anwesenden Kreativen statt dem Kulturberuf lieber den Wechsel in den Lehrerjob empfohlen hatte. Denn dort gäbe es einen enormen Bedarf. Kultur können man dann ja nebenbei weiterbetreiben. Bei so viel Fachkompetenz und politischem Support braucht sich dann nach zwei Jahren niemand mehr über Personalmangel in der Kulturbranche zu wundern.
„Model Österreich“ in Deutschland chancenlos?
Dabei ist der Politik längst eine konkrete Alternative bekannt. So wird in der Branche ein in Österreich erfolgreich praktiziertes Modell (www.svs.at) konstruktiv diskutiert, das neben Sozialversicherungen auch eine „Arbeitslosenversicherung für Gewerbetreibende und Neue Selbständige“ umgesetzt hat. Alex: Wenn es ein solches Modell auch in Deutschland gäbe, bin ich sicher, dass 80 bis 90 Prozent aus unserer Branche sagen würden, sie zahlen in so etwas ein.“ Aber die Hoffnung, dass deutsche Politik so etwas umsetzen will und wird, ist realistisch gering. Deutsche Politik mache hier einen sehr schlechten Job, so die Unisono-Meinung. Seit Jahren gibt es die Forderung nach Übernahme des österreichischen Modells für Freiberufler. Seit Jahren tut sich nichts, was sicherlich auch in der Heterogenität der Vielzahl betroffener Berufe begründet liegt. Corona scheint daran nichts geändert zu haben.
Fehlende Wertschätzung gegenüber Kulturberufen
Die Betroffenen führen das im Gespräch auch auf die ihnen durchwegs begegnete fehlende Wertschätzung von Politik und Behörden zurück. Menschen aus Politik und Behörden gingen ebenfalls gerne zu fantastischen Kulturevents, so die Techniker. Wer das baut und ermöglicht, sei aber vielen egal. Alex sieht die Ursache auch in Vorurteilen: „Gerade uns im Touring begegnet man vielfach mit Vorurteilen, als wären da nur koksende Typen unterwegs“. Was aber „völliger Quatsch“ sei, denn „das geht bei der Verantwortung gar nicht, die wir haben“, und verweist darauf, dass alleine dutzende Tonnen Ausrüstung in der Halle unter die Decke gehängt werden müssten, unter denen Menschen stehen. „Wir sind eine Riesenbranche, die von der Politik missachtet wird“ sagt Alex und würde zum gegenseitigen Verständnis „auch einem Markus Söder Helm und Sicherheitsschuhe anbieten, um mitzuarbeiten und zu sehen, was wir hier leisten und wie penibel wir hier alle arbeiten, damit sich jede und jeder sicher fühlen kann“. Markus Söder habe „gerade noch das richtige Alter für uns“. Er „sieht fit aus und wenn er keine zwei linken Hände“ habe, könne er sofort hospitieren.
Autokinos ein Schuss ins Knie, weil Politik geblendet
Marcus weist final auch noch auf Fehler der Branche hin: „Autokino-Konzerte waren für mich das falscheste Signal an die Politik“. Fehlender Entertainmentcharakter sei noch das geringere Übel gewesen, „aber die Politik hat geglaubt in der Kultur geht wieder etwas; mit dem Rückschluss, sich nicht mehr um die Probleme der Branche kümmern zu müssen“. Hier sei die Situation in der Anfangsphase der Pandemie vergleichbar mit dem Sommer 2022, wo viele kleinere Veranstaltungen um das Überleben kämpfen oder gar nicht stattfinden, während die Politik sage, dass es ja wieder tolle Festivals gegeben habe. Unter die Decke blicke da keiner, weil das der Politik Arbeit und Geld kosten würde. Das sei fatal und deswegen ist die Branche auch noch längst nicht über den Berg. Und es wird noch eine Herausforderung, ob beispielsweise ein Markus Söder zu seinem Wort steht, die Kulturbranche und ihre Mitwirkenden „bis Pandemie-Ende“ zu unterstützen.
Bernd Schweinar / www.allmusic.de
Zur Bilderstrecke Udo Lindenberg (zum Galerieende scrollen)
18. Juni 2022
LIEBE – IN EINER MAGISCHEN NACHT
„Die Toten Hosen“ zum 40jährigen im Münchner Olympiastadion / „Donots“ und „Feine Sahne Fischfilet“ als Support
Wenn der Mensch älter wird, reflektiert er ab und an die zurückgelegte Wegstrecke. Jubiläen sind ein besonderer Kick für solche Momente. Meistens gibt es dann auch Kuchen und Torten. Und Erinnerungen! Schöne meist mehr! Und solche hatten „Die Toten Hosen“ zu Hauf in einst nie gedachten 40 Bandjahren ins Album geklebt. Apropos geklebt! Der Schweiß klebte bei 34 Grad im Münchner Olympiastadion jeden saugfähigen Fetzen Klamotten und Haarstränen an den Feierbody. Was für eine Nacht in Bayern! Welcher Schwall an Emotionen! Was für Fontänen an Hymnen! Und natürlich 105prozentig ehrlich und überzeugend „Alles aus Liebe“. Liebe zu einer Band, die dieses Deutschland in diesen Jahren geprägt hat.
Auch ich erinnere mich. Es war der 26. Juli 1986, als „Die Toten Hosen“ mich ansprachen, nicht ich sie. Auf der Pressetribühne beim „Anti-WAAhnsinns-Festival in Burglengenfeld. Die Plattenfirma Virgin hatte irgendwann vorher Jutetaschen bei der Bemusterung verschickt. Die Kameratasche war voll, Kleinkram steckte in dieser Jutetasche. Und die Hosen fragten schüchtern, ob ich von Virgin sei. Es war ein spontaner Erstkontakt mit einem Gruppenbild, das man heute Selfie nennen würde. Und lustigen Bildern vom Aufbau ihres „Hosen-Hotels“ rechts von der Bühne. Am nächsten Morgen waren sie um 11 Uhr mein lautester Wecker im Fotograben – ever! Im Konzertfilm über das Festival ist eine meiner Favoritenszenen jene geblieben, als die Hosen erzählten, sie seien nach der Durchfahrtskontrolle bei der Polizei gleich nochmals umgekehrt und erneut durchgefahren, weil sie sich mit dem Einsatzleiter so gut verstanden hätten. Knutsch!
Auf die Nacht in München habe ich 40 Jahre gewartet. Zumindest die Emotionen in mir! Ein Chapeau insbesondere auch der Videodesignfirma, die im Background ein Gefühlsfeuerwerk nach dem anderen ablaufen ließ. So viel Sisyphus-Arbeit, so große Kunst! So viele Erinnerungen und Empathie zum Eintauchen. Und am besten nie wieder auftauchen! Suhlen und wohlfühlen! Hymne an Hymne! 30 Songs, die wie ein Gipfelspringen durch die Bandgeschichte Höhepunkt an Höhepunkt reihten. Mit Hooklines, die keine Chance ließen, sich nicht in den Chor einzureihen. Manche haben das den Hosen in 40 Jahren als Kommerzialisierung vorgeworfen. Leute, wie würde der Österreicher sagen: „Geht sch…“. Zweieinhalb Stunden Hymnen für die Menschen! Melodien für Deutschland! Einzelne Titel aus dem Chorgefüge herauszuheben, hieße die anderen zu Unrecht nicht zu nennen.
Mit Südcholorit für Bayern und München und das emotional bebende Olympiastadion herauszuheben, wären aber „1000 gute Gründe“, mit einer imaginären Jodel-Hommage an die Freundschaft mit Gerhard Polt und den Wells. Oder die Kindheitsreminiszenz von Campino, als er ausführlich an die Badetage mit den Eltern am Klostersee (Seeoner See) erinnerte. Neu war, dass Campino mit seinem CDU-Dad lange vor der CSU in Kloster Seeon war. Und die Story von der Notbremsung im Bandbus am wiedergefundenen Ortsschild zum Seeoner See, war nur eine von vielen tollen Anekdoten aus vier Hosen-Jahrzehnten. „Die Toten Hosen“ blickten zurück, ohne den Kopf zu wenden. Bei Vollgas, straight ahead!
Apropos Dad. Trotz aller endlos scheinenden Hymnen waren die eher leisen Momente fast die intensivsten. „Kamikaze“ war so ein Moment. Aber wie kein zweiter Song steht „Draußen vor der Tür“ für diese Zäsur. Er steht für die Reflexion der Vergänglichkeit, den Frieden mit dem einst unversöhnlich scheinenden Familienleben. Auch das Sich-Vergegenwärtigen, dass die Welt sich auch für einen punkigen Geist weiterdreht, wenn Campino erzählt, dass er seinen durch Kreuzberg ziehenden Sohn nur alle vier Wochen sieht, wenn überhaupt. Time flies! Geschichte und Geschichten wiederholen sich. Abnabelung ist elementar wichtig! Sie zu akzeptieren aber auch. Mit dazu beiträgt, der Rückblick auf 40 Jahre eigene Entwicklung. Und das haben „Die Toten Hosen“ mit dieser Jubiläumstour so was von genial auf die Bretter gestellt, dass jede Hymne im auch optischen Meer der Fanhände schwimmen und sich treiben lassen konnte.
Auch die Supports von „Donots“ und „Feine Sahne Fischfilet“ wurden frenetisch gefeiert. Im Kampf mit der brennenden Sonne legten die „Donots“ sogar gleich bei „Calling“ noch ein paar Grad Celsius on top drauf! Und ab „Wake The Dogs“ und „Dead Man Walking“ kannte der Strom an Schweißfluss keine Ufer mehr. „Feine Sahne Fischfilet“ antworteten auf die Temperaturen bei „Rausch“ gleich mit Bierdusche für die Kameras im Fotograben.
Eine Schlusshommage auch an jene, die oft vergessen werden. All die Hands, Secus und allen anderen Produktionsgewerke, die trotz dieser grenzwertigen Temperaturbelastungen ihre anstrengend Jobs wieder mit Leidenschaft machen. Sie haben den allergrößten Respekt verdient, weil ohne sie Tage wie dieser, um es mit den Hosen zu sagen, nie möglich wären.
Bernd Schweinar / www.allmusic.de
Die ganze Bilderstrecke am Ende des Archivs, mit vielen auch historischen Aufnahmen vergangener Gigs – und es sind noch so viele Jahre nicht digitalisiert in dieser Zeitreise:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/die-toten-hosen
Die Bilderstrecken der „Donots“ und von „Feine Sahne Fischfilets“ gibt es später.
16. Juni 2022
DIE GROSSEN NETTEN JUNGS
„Die Ärzte“ im Münchner Olympiastadion / „Antilopen Gang“ als Support mit gutem Job
Beim letzten Aufeinandertreffen mit den „Ärzten“ stürmte die Polizei die Garderobe und unterbrach unser Interview zur Personalienfeststellung der Band. Das war 1987 in Regensburg. Grund war, dass sich die Band nicht an das Indizierungsverbot von „Geschwisterliebe“ gehalten und es trotzdem gespielt hatte. Heute sehen „Die Ärzte“ das differenzierter, was sich auch in der Ausklammerung im Downloadservice spiegelt.
Wie die Geschichte damals weitergegangen ist, wäre eine Interviewfrage wert gewesen. Auch, wie sie ihre Rolle als Tagesschau-Promi-Sprachrohr für die Kulturschaffenden während Corona im Nachhinein einschätzen würden. Das Interview gab es leider im Vorfeld ihres Münchner Open-Air-Gigs im Olympiastadion nicht.
Live sind „Die Ärzte“ die netten großen Jungs von einst geblieben. Die Bühne ein elendig großer Sandkasten. Mit drei angejahrten Kids unter Strom, die irgendwie am liebsten quasseln und Witze reißen und das auch nicht nur aufgesetzt absolvieren. Helikopter-Mamas würden an ADHS denken. Fans, wenn vielfach auch mit ihnen älter geworden, zappeln begeistert mit, tauchen ein in die Gags und johlen, wenn Bela einen aus der Menge auf das Videoschild hebt, weil er es geschafft hat zehn Biere fast voll bis vor die Bühne zu jonglieren. Vor „Fiasko“ üben sie minutenlang mit dem Publikum ein „Huuh“ als Running-Gag-Antwort – wäre auch als Waldkindergartenspiel hinter Bäumen durchgegangen. Sie könnten auch als Wortkabarettisten nach dem GEMA-Tarif abgerechnet werden. Fast! Wären da nicht die 40 Songs, die sie in über zweieinhalb Stunden über die Bühnenkante brettern. Chapeau!
Denn zwischendurch fällt ihnen dann doch wieder ein, dass sie ja eigentlich auch wie wieder den nächsten Song anstimmen könnten: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn…wusch“. Trotzdem zünden die aktuelleren Songs nicht mehr so wie früher. Müssen sie das? Muss man nicht auch Autoren zugestehen, dass sie nicht immer von einem Zenit zum nächsten Schlafwandeln? Die Jahre sind ins Land gezogen, um es mit den „Hosen“ zu kommentieren. Aber die buchstäbliche Spielfreude sprudelt noch aus jeder Sekunde der zweieinhalbstündigen Show.
Konstant geblieben ist über all die Zeit aber Ihr Engagement. Ein Einsatz, der schon immer Respekt verdient hatte. „Die Ärzte“ haben über alle die Jahrzehnte fasziniert, weil sie kompromisslos und non-konform gesellschaftlich relevante Positionen bezogen haben. Das Olympiastadion erklären sie vor „Doof“ zur sicheren Zone, weil es Nazi-frei sei. Sie appellieren daran, Hingefallenen wieder aufzuhelfen – nicht nur aus Sicherheitsgründen vor der Bühne. Irgendwie hat das auch was davon, der unsicheren Rentnerin über die Straße zu helfen. Nette Jungs halt!
Die „Antilopen Gang“ hatte bei über 30 Grad in der vollen Sonne einen brachialen Support-Job. Den aber erfüllten sie mit Bravour. Schwerarbeiter, die im Flow heftig schwitzten. Und wo „Stück Dreck“ ein eher subjektiver Höhepunkt war. Ebenso wie im eher getragenen Bereich das Stück „Enkeltrick“, das für mich eh zu einer der gesellschaftlichen Benchmarks zur Sensibilisierung von Perversität bei Kriminellen zählt.
Nachsatz: Bilder der „Ärzte“-Show gibt es nicht, weil auch die Lizenznachfrage nicht beantwortet wurde. Mit dem Internet halten es Farin & Co augenscheinlich wie Angela Merkel („Das Internet ist für uns alle Neuland“). 1987 kämpften sie bei unserem letzten Aufeinandertreffen mit der Indizierungsbürokratie. Jetzt sind sie bei der Bürokratie logischerweise rechtlich am längeren Hebel. Im Fotovertrag heißt es, dass eine Verbreitung der Bilder über das Internet (Online-Dienste) nicht gestattet sei. Andere Künstler sind in solchen Verträgen schon in der medialen Gegenwart angekommen. Muss man akzeptieren! Andere Künstler:innen erlauben Nutzungen in „Nachrichten-Formaten im Internet“ längst. Manche brauchen halt noch Zeit bei sehr überschaubaren 16.000 Livebesucher:innen.
Bernd Schweinar / www.allmusic.de
Antilopen Gang-Bilderstrecke hier
https://www.allmusic.de/bildergalerie/antilopen-gang
18. Mai 2022
ANTIS / Litauen: Rückblick und Überraschung
Am 16./17. Mai 2022 waren bei der "Dialog.Pop"-Popkonferenz bei uns auf Schloss Alteglofsheim auch Speaker verschiedener Musikszenen von osteuropäischen Ländern anwesend. Mit Vaidas Stackevicius aus Litauen kam ich leider erst im Nachgang in den Dialog. Ich erzählte ihm, dass ich schon 1989 einen sehr beeindruckenden Auftritt einer Band namens ANTIS bei einem Festival in Bayern erleben durfte. Damals hatte ich backstage auch einen sehr interessanten Dialog mit deren Sänger Algirdas Kauspedas, der mit einer monströsen "Hollenmaschine" auf der Bühne die politischen Wirren um den siechenden Kommunismus in den Anfangsjahren von Glasnost visualisierte. Ich fragte Vaidas, ob es die Band ANTIS noch gäbe und er wüsste, was aus deren Sänger wurde.
Und Überraschung: Vaidas sagte, Du sprichst gerade zufällig mit dem Manager von Algirdas Kauspedas. Der habe seit 2018 eine neue spannende Band namens "KAnDIs". Und noch zufälliger treffe er ihn am gleichen Abend in Kaunas bei den Proben zu einem Auftritt ihm Rahmen von Veranstaltungen zur Kulturhauptstadt Europas. Davon hat er abends dann gleich noch ein Foto geschickt:
Und er hat ein paar Links zu aktuellen Produktionen geschickt, die Lust machen, mit der Kamera mal nach Litauen zu reisen und einen Gig zu fotografieren:
Das offizielle Video zu "Monteris" von "KAnDIs":
https://youtu.be/wwy6yuKSnBk
https://youtu.be/Lf7J_3S2XXw
12. Mai 2022
DIE ÄRZTE, am 16. Juni im Olympiastadion München - vor 35 Jahren beim Polizeiverhör an der Uni Regensburg
Das habe ich vor ziemlich genau 35 Jahren über "Die Ärzte" in der Mittelbayerischen Zeitung geschrieben, als die Polizei mitten in unser Interview platzte, um von den Musikern eine Personalienfeststelllung zu machen. Ich im linken Bild rechts von Farin sitzend, der Polizist links von Bela stehend. Ich hoffe, dass ich "Die Ärzte" demnächst in München nach so langer Zeit tatsächlich das erste Mal wieder live erleben kann.
(Grafik mit rechter Maustaste in neuem Tab öffnen und dann gerne auf lesbares Format vergrößern!)
09. April 2022
dpa hat mich diese Woche zum bevorstehenden Festivalsommer interviewt.
Hier ein paar Mitnahmen:
31. März 2022
STARKE SAITEN
King Glyk bei den "Rother Bluestagen"
Was für ein Klangerlebnis mit Kinga Glyk! Welch ein Konzertgenuss bei den „Rother Bluestagen“, die das Risiko eingegangen sind, frühzeitig für diese Pandemiephase zu planen. Respekt! Und viel Empathie auch für Kinga Glyk, die ihre Demut ausdrückte, nach ersten Auftaktgigs in Italien, wieder live vor Publikum stehen zu dürfen. Demut aber auch vor diesem Konzertprivileg, angesichts des Krieges in der Ukraine und der Millionen Geflüchteten auch in ihrem Heimatland Polen.
Die Fragilität der aktuellen Situation artikulierte sich am intensivsten zum Ende ihres Programms im Titel „Enu Maseti“, zu dem sie auch versucht das Publikum mit den Masken zum Mitsingen ich ihrer Fantasiesprache zu animieren. Das gelingt nicht ganz, aber die weltmusikalisch getragene Klangsprache trägt fort in sphärisches Wohlgefühl.
Bis dahin wechselte ein faszinierender Moment den anderen ab. Zwischen dem getragenen „Ballada“, wo sie von Produzent und Keyboarder Pawel Tomaszewski auf einem Tastenteppich emporgehoben wurde und dem von ihr als lautestes Stück des Abends angekündigtem „OverDrive“, brannte sie ein Feuerwerk an Intensität und Kreativität ab. Immer unterstützt auch von Drummer David „Hayden“ Coezy, der mit facettenreichen Schlagmustern und Grooves unaufdringlich aber immens wichtig den Weg bereitete.
Instrumentalmusik heißt nicht Emotionslosigkeit, heißt nicht Expressionslosigkeit. Die Mimik ihres Gesichtes ist Kinga Glyks Ersatzstimme. Die Kameralinse hat ein Bild eingefangen, wo ihre Griffhand auf dem Basshals ihr Gesicht zwischen den Fingern erkennen lässt. Alle drei bilden aber auch eine Symbiose in direkter Linie. Ihr Fazialisnerv ist die Verlängerung der Energie aus ihren Fingern zu den Gesichtsmusikeln. Jedes schwierige Griffmuster schlägt sich nieder in einer anderen Mimik, verstärkt dadurch jeden Ton, jeden Akkord. Kann ein Bild mehr ausdrücken?
Kinga Glyk ist in den letzten Jahren zum Medienprodukt geworden. Seit sie Claptons „Tears In Heaven“ mit einem Uptempo-Arrangment auf dem Bass intonierte, wurde der Clip im Netz millionenfach geklickt, haben sich TV- und Radiostationen um sie gerissen. Live ist sie aber sehr Mensch geblieben, hat sich diesem Hype nicht ergeben. In der Frühphase ihrer jungen Karriere saß noch ihr Vater am Schlagzeug, heute sorgt ihr Bruder Patrick als FOH-Mischer für den guten Sound. Und wenn sich Kinga Glyk dann mit ihrem Bass im Schneidersitz auf der Bühne niederlässt und in Klangwelten zu entschwinden scheint, dann ist das nur ein Synonym dafür, dass sie sich auf der Bühne zu Hause fühlt.
Bernd Schweinar / www.allmusic.de
Weitere Links:
Website Kinga Glyk
Kinga Glyk @ Warner Music Germany
Rother Bluestage
06. März 2022
BACKSTAGE - Bildband über Herman Brood veröffentlicht
Auch mit Aufnahmen von Helmut Ölschlegel und Bernd Schweinar
16. Oktober 2021
Tieftaucherlebnis in Nostalgie und Disco-Fieber
Ex-„Bee Gees“-Gitarrist Vince Melouney im Interview / Musical “Massachusetts” auf Deutschlandtournee
„Bee Gees“, der Bandname der „Brothers Gibb“ zerfließt noch immer wie Honig. Auch Jahrzehnte nach dem Ableben von Maurice und Robin Gibb. Deren Gitarrist Vince Melouney ist als Teil der italienischen Musicalproduktion „Massachusetts“, die auch in der Saturn-Arena in Ingolstadt gastierte. Allmusic.de sprach mit Vince auf Vermittlung von Carla Olson und Jonathan Lea (Bandmitglied von Dave Davies/"Kinks") exklusiv.
Vince Melouney ist inzwischen 76 Jahre alt. Ein höflicher, sehr zurückhaltender, nobler Mensch, der uns Backstage in der Saturn-Arena von Ingolstadt gegenüber sitzt. Er war Gitarrist der ersten vier „Bee Gees“-Alben Ende der sechziger Jahre und ist auf vielen Welthits der Band zu hören. Beim Musical der süditalienischen Brüder Pasquale, Walter und Davide Egiziano ist Melouney noch bei fünf Songs dabei. Ebenso wie Blue Weaver, der langjährige Bandkeyboarder und einstige Architekt des Disco-Sounds der Gibbs. Beide sind aber nicht nur Alibi-Heroen, sie bereichern und faszinieren live, obgleich die Show vom fulminanten Gesang der Egizianos geprägt ist.
Wie kommt ein im englischen Summerset lebender Australier zu einer kalabresischen Musicalproduktion? Der Start war in der Tat etwas schwierig, antwortet Vince Melouney. Er sei gerade wieder in Australien gewesen, als Pasquale Egiziano anrief und ihm vom Musical erzählte und einen Gastauftritt anfragte. Man verabredete sich zu einer Show in Deutschland und seit 2016 ist er dort jetzt Mitglied. Seine Worte reflektieren wie wohl er sich dabei fühlt: „Jeder Abend ist anders. Die Show selbst ist für mich ein Knaller! Alle Beteiligten sind überaus professionell. Die Egiziano-Brüder sind hervorragende Sänger. Auch die Band spielt auf den Punkt. Nicht zu vergessen die Tänzerinnen und Tänzer. Alle sind mit Herzblut dabei, machen das nicht nur als Job. Eine liebenswerte Truppe.“
Vince Melouney kommt zweimal auf die Bühne: „Wir starten mit ‚New York Mining Disaster 1941‘ und ‚Holiday‘ in er ersten Hälfte“, erzählt er und fährt mit empathischem Unterton fort „Beim zweiten Set komme ich dann mit ‚In The Morning“ und wir finishen mit ‚Idea‘. Die Egiziano-Brüder singen dazu im Background.“
Das ist fast so, wie Anfang der sechziger Jahre als die „BGs“, tatsächlich den Harmoniegesang zu zwei Singles von Melouneys Band beisteuerten: „Die Gibb Brothers lebten damals im australischen Hurstville und wir trafen uns im St. Claire Studio eines Freundes. Ich spielte Gitarre auf ein paar ihrer Songs und sie sangen auf zwei meiner Songs. Du kannst ihre Uuuhs und Aaahs gut hören. Das war noch bevor sie berühmt wurden. Die Leute sahen uns damals eher als kindische Teenieshow. Aber sie waren schon damals sehr gut, und der Harmoniegesang fantastisch.“
Er kommt auch nach Jahrzehnten immer noch ins Schwärmen wenn er an die goldenen Zeiten der „Bee Gees“ zurück denkt. Magische Momente? „Es gab zu viele!“. Am meisten war er beeindruckt von den Menschenmassen, vor denen sie damals gespielt haben.
Barry Gibb hat Melouney zuletzt 2004 bei einem Konzert in der beeindruckenden Hollywood Bowl von Los Angeles getroffen. Maurice ist 2003 und Robin 2012 verstorben. Aber in den fesselnden Stimmen der Egiziano-Brüder fühlt er ihre Aura immer noch um sich. Wenn Davide Egiziano „Saved By The Bell“ von Robin Gibb schmachtet, dann zerfließt nicht nur das Publikum. Ein zwar in die Jahre gekommenes Publikum, das aber insbesondere beim ausgiebigen Disco-Teil aus den siebziger Jahren fulminant mitzugehen weiß. Hier wird auch der zweite Ex-Begleitmusiker der „Bee Gees“ zu einem der Hauptacts, der Waliser Blue Weaver, der den Keyboardsound und Falsettgesang der „Night Fever“-Ära elementar prägte.
Der Tourauftakt in Ingolstadt ist die erste Show nach fast zwei Jahren. Sie haben vorher sechs Tage in Berlin geprobt und Corona hat auch ihnen allen böse mitgespielt. Melouney erzählt, dass er während der Corona-Pause viele Songs geschrieben und an anderen mitgewirkt habe. Kurz vor Pandemiebeginn war er noch in Los Angeles und hat mit der Band „Strangers In A Strange Land“ sowie dem Schlagzeuger Clem Burke von Blondie den alten Klassiker „Women“ der australischen Oldieheroen „Easybeats“ aufgenommen. Die „Strangers“ hätten ihn dann auch gebeten, bei der Aufnahme des „Bee Gees“-Songs „Ring My Bell“ mitzuwirken. Die Gitarre hat er dann während des Lockdowns daheim eingespielt und nach Amerika geschickt. Langweilig war ihm nicht. Sein Freund Jonathan Lea (Gitarrist u.a. für Dave Davies/Kinks, Carla Olson, Jigsaw Seen) habe auf Youtube einen alten Song von ihm wiedergefunden, den er 1969 für Ashton, Garner & Dyke und mit George Harrison als Gast produziert hatte („See The Sun In My Eyes“). Und auch den alten Robin Gibb-Titel „Come Some Christmas Eve Or Halloyween“ hat er mit Lea gerade neu produziert und soll bald erscheinen.
Vince Melouney ist immer noch umtriebig, auch wenn das Alter an ihm zehrt und er keine ganze Produktion mehr auf der Bühne schaffen würde. Aber seinen Part beim „Massachusetts“-Musical füllt er immer noch mit Hingabe aus. Und das Musical an sich ist ohnehin ein riesiges Erlebnis - für Musiker wie Publikum.
Bernd Schweinar
Die gesamte Bilderstrecke hier:
https://www.allmusic.de/bildergalerie/bee-gees-musical-massachusetts
https://www.resetproduction.de/shows/massachusetts-bee-gees-musical/