AXEL PRAHL: „Mehr“ liebevoller Knuffel statt Dressman
Axel Prahl & Das Inselorchester trotzen Gewittersturm in Nürnberg
„mehr Meer“ hätte man – ganz in Axel Prahls wässeriger Wortspielerei – den von einem Gewittersturm mit Wolkenbruch begleiteten Auftritt im Nürnberger Serenadenhof auch überschreiben können. Zum ersten Song hatten die Techniker mit den wehenden Bühnenstoffen zu kämpfen, mussten Equipment sichern und Programme auf dem Notenpult festkleben. Das Solo-Entree zog der Sänger und Schauspieler, dem die Sturmböen immer wieder den Strohhut aufbogen, aber standhaft durch, wie ein Kapitän auf der Brücke eines Bootes: „Das wird heute lustig“.
Das Publikum in den vorderen Reihen die nicht überdacht waren, floh konsequent unter das Dach. Wobei ein Paradoxon unbeantwortet blieb. Auf der Bühne der liebevolle Knuffel im Outfit seiner Münsteraner Tatorte mit funktionaler Angler-/Fotoweste. Vor der Bühne vielfach überwiegend aufgebrezelte Damen mit Abendgala. Sollte es eine Brücke zwischen diesen Gegensätzen geben, dann her damit. Diese Lebensweisheit fehlt weit über den Abend hinaus.
Vielleicht liegt es an Prahls tiefer Empathie für das Zwischenmenschliche, das tiefschürfende Innere von und in Beziehungen, das weit über Äußerlichkeiten steht? Möglicherweise auch an seiner relaxten Art, von kaum etwas wirklich aus dem Leben geworfen zu werden. Er wirkt wie der Ruhepol im Leben. Der Ruhepol in einer Beziehung. So konnte ihn auch nicht in Hektik versetzen, dass am Tag zuvor auf der Tour sein Wohnmobil kaputt gegangen war. Warum deshalb nervös werden? Alleine, dass er überhaupt mit dem Wohnmobil auf Tour ist, würde ihn mehr zur zweiten oder dritten Liga der Kulturschaffenden definieren. Aber er ist musikalisch Bundesliga!
„Blick aufs Mehr“ hieß einst sein Debütalbum als Singer/Songwriter. Sein aktuelles Album heißt nur noch „Mehr“ und bietet buchstäblich mehr von allem, was seine Wertigkeit als tiefblickender Songschreiber, als analytischer Seelenschmied an Lebenszugewinn seinen Fans kredenzt. Sein achtköpfiges Inselorchester mit u.a. drei Streichern ist in allen Stilrichtungen zu Hause. Egal, ob Chanson, Blues, Folk oder gar einer gerappten Version von Walther von der Vogelweide. Und beim Cover „Marmor, Stein und Eisen bricht“ lässt er es auch während des Gewitterschauers richtig krachen.
Prahl ist ein inniger Texter! Einer, bei dem jedes Komma und jede Atempause wichtig sind. „Schön, dass du da bist“ ist an diesem Abend buchstäblich zum Heulen schön. Die Textzeile „Wenn wir uns nicht wiedersehen, ist Erinnerung alles, was uns bleibt“, wird verstärkt durch einen aufwühlenden sphärischen Gitarrenteppich, der von Akkordeon und Streichern zusätzliche Muster gezeichnet bekommt. Vor dem Song „Das ist meine Frau“ erzählt er, der in dritter Ehe seit neun Jahren wieder verheiratet ist, dass er zum Hochzeitstag immer drei Gedichte schreibe und seiner Frau überreiche. Die melancholischen Harmonien setzten sich live fort in „Wieso bist du immer noch da“, einer Reminiszenz an eine frühere Beziehung.
Er reflektiert rockig den Druck der Konsumwelt auf das Ich. Prädestiniert dafür der Titelsong seines ersten Albums „Blick aufs Mehr“. Aber auch „Heute fang‘ ich an“ sei so Prahl ein Stück, um aus dem Hamsterrade des Lebens auszusteigen. Als Gegenpol Klassik in Moll bei „Zu laut gelacht“. Dass er auch bissig sein kann, beweist er bei „Blablabla“ und „Für ein Amt (immer eine Null vorwählen)“, nachdem er gefragt hatte, ob im Publikum auch Beamte säßen.
Die ganze Bilderstrecke hier:
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